Von der Schwäbischen Alb aus in die Weltpolitik
Auf den Spuren von Matthias Erzberger
Wer unter der niederen Decke des Geburtshauses von Matthias Erzberger in Münsingen-Buttenhausen steht, erahnt den ganzen weiten Weg, den Erzberger von der Schwäbischen Alb bis nach Berlin und ins Zentrum der Ereignisse am Übergang zwischen Kaiserreich und Republik genommen hat. In der deutschen Erinnerungskultur kommt ihm dabei jedoch nur eine Nebenrolle zu. Spuren Erzbergers, der zeitlebens ein aktiver und tiefgläubiger Katholik war, sind rar.
Lieblingsfeind der Rechten, Zielscheibe von Hetze und Häme
Als Ältestes von sechs Kindern in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, wurde er zunächst Volksschullehrer, dann Redakteur, zum so genannten „Anwalt der kleinen Leute“, Reichstagsabgeordneter des Zentrums, Vizekanzler, Reichsfinanzminister sowie Initiator einer Finanzreform, deren Grundzüge bis heute Bestand haben und über die die Frankfurter Allgemeine Zeitung 100 Jahre später schrieb: „So viel Steuerreform in so kurzer Zeit hat es niemals zuvor und auch nicht danach gegeben.“
In Verbindung gebracht wird Erzberger bis heute jedoch vor allem mit seiner Rolle bei der Beendigung des Ersten Weltkriegs: Im Wald von Compiègne unterzeichnete er das Waffenstillstandsabkommen und sprach sich, seinem Realitätssinn folgend, im Jahr darauf für die Annahme des Versailler Friedensvertrags aus.
Schon zuvor war er für den so genannten Verständigungsfrieden eingetreten, hatte Gebietsansprüchen eine Abfuhr erteilt und an entscheidender Stelle im Reichstag daran mitgearbeitet, zu diesem Zweck eine parlamentarische Mehrheit gegen die alten wilhelminischen Eliten zu organisieren.
Er, der während seiner gesamten Laufbahn nie bequem war und immer wieder aneckte, wurde dadurch endgültig zum Lieblingsfeind der Rechten, zur Zielscheibe von Hetze und Häme. Als „Vaterlandsverräter“ verfemt, überlebte er mehrere Mordanschläge, nur um während eines Spaziergangs im Schwarzwald am 26. August 1921 von zwei Rechtsradikalen kaltblütig erschossen zu werden.
Ein Gedenkstein an der Bundesstraße zwischen Bad Griesbach und Freudenstadt erinnert an die Tat.
Seine Religiosität spiegelte sich in seiner Auffassung von Politik wider
Zu seiner Beisetzung in Biberach kamen 30.000 Menschen. „Das Who ist Who des katholischen Deutschlands seiner Zeit war vor Ort“, beschreibt der Erzberger-Biograph Christopher Dowe vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg die Szene. Mit dabei waren auch der Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll und Reichskanzler Joseph Wirth.
Die Katholiken aus Erzbergers oberschwäbischem Wahlkreis stifteten ihm ein Ehrengrab auf dem Friedhof der Stadt. Yannik Krebs, Stadtarchivar in Münsingen, verweist darauf, dass sich Erzbergers Religiosität zeitlebens auch in seiner Auffassung von Politik widerspiegelte, den Schwachen und Bedürftigen zu helfen. In seinen Jahren als Parlamentarier in Berlin habe er so oft es ging die Heilige Messe besucht.
Ein großer, katholischer Politiker
Heute gedenkt man Erzberger als einem Wegbereiter der parlamentarischen Demokratie in Deutschland, als einem der ersten Märtyrer der Weimarer Republik und als wichtigem Brückenbauer zwischen Kaiserreich und christlich-demokratischer Tradition. Seit 2011 trägt der Festsaal des Bundesfinanzministeriums in Berlin den Namen Erzbergers und seit 2017 heißt ein vom Bundestag genutztes Gebäude Unter den Linden „Matthias-Erzberger-Haus“. Deutschlandweit einmalig ist die 2004 von Christopher Dowe konzipierte Erinnerungsstätte in Buttenhausen. Und 2021, wenn sich die Ermordung Erzbergers zum 100. Mal jährt, sind im ganzen Land gleich mehrere Veranstaltungen geplant, sagt Dowe.
Im Gebiet der Diözese Rottenburg-Stuttgart wird so Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bei einer Gedenkveranstaltung in Biberach am 26. August kommenden Jahres erwartet und gemeinsam mit dem Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart plant das Haus der Geschichte eine wissenschaftliche Tagung zu Ehren des „großen katholischen Politikers“, wie ihn Maria E. Gründig, Geschäftsführerin des diözesanen Geschichtsvereins, nennt. Die Tagung in der Landeshauptstadt ist für den 20. März vorgesehen. Auch in Ulm, Schwäbisch Gmünd und an vielen anderen Orten im Land sind Veranstaltungen zu Erzberger geplant, berichtet Dowe.
"Erzberger ist auch heute noch ein Vorbild"
Der Titel einer bekannten Hetzschrift aus dem Jahr 1919 gegen den Zentrumspolitiker lautete „Fort mit Erzberger“ und auch heute, fährt Dowe fort, seien es wieder sprachliche Entgrenzungen, die Gewalttaten wie dem Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vorausgingen. Natürlich lasse sich die politische Situation der Gegenwart in keiner Weise mit der vor 100 Jahren vergleichen, doch es gebe Parallelen. An der Person Erzbergers lasse sich noch immer gut ablesen, wie wichtig es sei, auch unter schwierigsten Bedingungen für den Frieden einzutreten, setzt Stadtarchivar Krebs hinzu. „Erzberger ist auch heute noch ein Vorbild.“ Und deswegen lohne der Besuch der Erinnerungsstätte in Münsingen-Buttenhausen, zu der auch immer wieder Schulklassen kämen.
Das Erinnern an Erzberger vermittle jedoch noch mehr, fährt Dowe fort. Denn, wie konfliktbeladen eine Situation auch war, Erzberger steckte nie zurück, suchte die Auseinandersetzung gegen den preußischen Obrigkeitsstaat, deckte Verfehlungen der Kolonialpolitik auf, benannte furchtlos die Schuld der alten Eliten am Kriegsverlauf und stritt für seine Sache und für die Demokratie. Dabei war der katholische Aufsteiger aus der Provinz in der von Adel und Protestantismus geprägten Welt Preußens von Beginn an nicht gut gelitten. In seinem Heimatland zumindest, bewahrt man ihm bis heute ein gutes Andenken und das kommende Jahr nimmt dabei eine besondere Rolle ein.
Die Erinnerungsstätte
Die Erinnerungsstätte Matthias Erzberger findet sich in der Mühlsteige 21, 72525 Münsingen-Buttenhausen. Die Öffnungszeiten sind von April bis Oktober: sonn- und feiertags von 13 bis 17 Uhr. Außerhalb der Öffnungszeiten können Besuche oder Führungen für Gruppen ab sieben Personen über das Stadtarchiv vereinbart werden. Eintritt: 2 Euro pro Person; Schüler frei; Gruppen ab elf Personen: 20 Euro, Führungen: 30 Euro zuzüglich Eintritt.
Weitere Informationen erhalten Interessierte beim Münsinger Stadtarchivar Yannik Krebs unter Telefon 0 73 81 / 18 21 15 und per Mail: stadtarchiv(at)muensingen.de
Übernachtungsmöglichkeit
Wer einen Ausflug mit Übernachtung plant, dem empfehlen wir das „Johann-Baptist-Hirscher-Haus“ in Rottenburg. Das Gästehaus der Diözese liegt in ruhiger Lage inmitten der Fußgängerzone der Altstadt und mit Blick auf den Neckar. Zum Dom St. Martin und zum Diözesanmuseum (www.diözesanmuseum-rottenburg.de) sind es nur zwei Gehminuten, zum Bahnhof mit Anschluss an die Kulturbahn nach Tübingen und Pforzheim nicht mehr als fünf Gehminuten.
Alle Informationen zu Übernachtung und Buchung: www.hirscherhaus.de