Sülchenkirche
Gottesdienstort, Museum und Bischofsgrablege
Die Friedhofskirche Sülchen ist lebendiges Glaubenszeichen und archäologische Sensation zugleich. Nach der Wiedereröffnung am 4. November 2017 präsentiert sich die Sülchenkirche als Ort für die Feier von Gottesdiensten wie auch als Erinnerungs- und Erlebnisstätte. Seit rund 1500 Jahren dient sie als christlicher Bestattungs- und Sakralort, zudem seit 1869 als Grablege der Rottenburger Bischöfe.
Um der historischen Bedeutung des Ortes Rechnung zu tragen und die herausragenden Funde am ursprünglichen Ort zu präsentieren, wurde im Zuge der letzten Renovierung ein moderner Ausstellungsbereich in der Unterkirche eingerichtet, der Zweigstelle des Diözesanmuseums Rottenburg ist. Auf einer eigenen Internetseite stellt das Museum die wichtigsten Informationen dar. Durch Führungen und die Einbeziehung moderner Medien wird die Geschichte des traditionsreichen Ortes Sülchen für angemeldete Besuchergruppen erlebbar.
Führungen in neuen Formaten
Seit der Eröffnung besteht rege Nachfrage nach Führungen durch den musealen Teil der Sülchenkirche. Um bestimmte Zielgruppen anzusprechen oder zu einem erneuten Besuch zu motivieren, bietet das Diözesanmuseum künftig Sonderführungen mit dem Schwerpunkt Heiliger Meinrad oder Bischöfe der Diözese und Entstehung der Sülchengruft an. Meinrad wurde vermutlich in der ersten Sülchenkirche aus dem 7. Jh. getauft und gilt als Begründer des Klosters Einsiedeln in der Schweiz.
Eine Entdeckungstour erschließt Kindern und Jugendlichen die religiösen und historischen Inhalte auf spielerische Weise. Bei dieser Sonderführung werden die jungen Museumsbesucherinnen und -besucher aktiv ins Geschehen einbezogen. Sie dürfen sich als Archäologen betätigen und verborgene „Schätze“ ausgraben. Die Bilderstrecke gibt einen Einblick in dieses Format.
Hotspot der Glaubensgeschichte
Eine Sonderbeilage des Katholischen Sonntagsblatts beschreibt die unterschiedlichen Funktionen der Sülchenkirche und die entsprechenden Hintergründe. Daraus sind diese Beiträge entnommen.
Ort des Gedenkens und der Hoffnung
Mittelalterliche Siedlung und Friedhof
Jahrhunderte lang diente die 1450 erbaute Sülchenkirche den Rottenburgern als ganz normale Friedhofskirche. Der Friedhof nebenan war für sie ein lieb gewordener Ort des Gedenkens an die verstorbenen Angehörigen. Sechs Jahre lang wurde unter der Kirche gegraben, sechs Jahre lang war die Kirche geschlossen. Jetzt steht sie wieder offen und der Besucher spürt, dass er dort ganz tief in die Geschichte des Christentums eintaucht. Sülchen ist zu einem Ort der Erinnerung an unsere ältesten Vorfahren geworden, einem Hotspot der Kirchengeschichte.
Für die Diözese Rottenburg-Stuttgart ist die Sülchenkirche schon seit dem Jahr 1886 von besonderer Bedeutung. Seitdem werden im Untergeschoss der Kirche die Bischöfe der Diözese beigesetzt. Als nach einem Wasserschaden die Bischofsgruft 2012 gründlich restauriert werden sollte, wusste niemand, welche Schätze sich unter der Kirche schlummerten. Die Arbeiten an der Bischofsgruft zogen sich hin. Immer wieder neue sensationelle Funde stoppten die Bautätigkeit und riefen die Archäologen auf den Plan. Erst im Jahr 2017 konnten die Arbeiten abgeschlossen werden.
Unter der Kirche fand sich eine aufs neunte Jahrhundert zurückgehende dreischiffige romanische Vorgängerkirche. Aus den Überresten der Mauern konnten die Forscher schließen, dass sie drei Apsiden hatte und unter dem Patrozinium des heiligen Martinus stand. Zudem fanden sich Spuren einer frühmittelalterlich-karolingischen Steinkirche aus der Zeit um 750. Ihre Größe und Bauweise lassen auf eine Blütezeit der Siedlung als Grafensitz mit großer Bedeutung im frühen Mittelalter schließen. Die Sülchenkirche war damals alles andere als eine unbedeutende Dorfkirche. Auf den Steinen der Vorgängerkirchen wurde 1450 die jetzige barocke Kirche erbaut. Sie verlor 35 Jahre später die Pfarrrechte und das Patrozinium des Heiligen Martin an die bisherige Liebfrauenkirche in der Stadt Rottenburg.
Unter dem Boden der Sülchenkirche fanden die Forscher 80 Gräber aus verschiedenen Epochen. Drei davon konnten aufgrund der Überreste, wie priesterliche Gewänder, eindeutig Priestern zugeordnet werden. In den übrigen Gräbern wurden zahlreiche Grabbeigaben wie Rosenkränze und Schmuckstücke gefunden. Besonderes Aufsehen erregte ein Mädchengrab aus der Zeit um 600. Dem ca. 20 Jahre alten Mädchen wurde ein Radkreuz ins Grab gelegt, ein Beleg dafür, dass der christliche Glaube in dieser Gegend schon früher als bisher angenommen Verbreitung gefunden hatte. Wie es scheint, waren in dieser Zeit die Menschen der alamannischen Oberschicht in der Region Christen. Die restlichen Bewohner wurden bis zum Ende des 7. Jahrhunderts christianisiert. Seit 1400 Jahren werden also Verstorbene in Sülchen im christlichen Glauben an die Auferstehung bestattet, eine Tradition, die kaum eine Friedhofskirche heute aufzuweisen hat.
Die gesamte Siedlung Sülchen umfasste ca. 40 ha, von denen bisher 10 % freigelegt wurden. Im 5. Jahrhundert muss es die erste Siedlung Sülchen gegeben haben. Nach der Gründung Rottenburgs um das Jahr 1300 wurde die Siedlung aufgegeben. In den 800 Jahren war Sülchen das Zentrum des Sülchgaus und wurde 1198 zuletzt genannt. Bisher wurden nur wenige Überreste der Siedlung erhoben.
Ursprünglich sollten die Grabungen in der Kirche Ende 2014 abgeschlossen sein. Aufgrund immer neuer Funde wurde weitergegraben. Zum Vorschein kamen zum Beispiel auch eine außergewöhnlich große Grube aus dem Jahr 1000, in der Glocken gegossen wurden. Nach den Funden von Sarkophagen aus dieser Zeit stimmte Bischof Gebhard Fürst weiteren Grabungen zu. Um die sensationellen Fundstücke der Bevölkerung zugänglich zu machen, begannen die Planungen für zwei Ausstellungsräume im Untergeschoss der Sülchenkirche.
Anfang November 2017 wurde die Sülchenkirche feierlich (wieder-)eröffnet. Mit einem Pontifikalamt weihte Bischof Gebhard Fürst die Kirche und eröffnete im Anschluss die sanierte Bischofsgruft. Im Untergeschoss zeigt die Außenstelle des Diözesanmuseums einen Teil der Funde, die unter der Sülchenkirche fast 1300 Jahre verborgen waren. Die Sülchenkirche ist damit mehr als nur ein Erinnerungsort an die Verstorbenen. Sie ist zu einem Erinnerungsort für alle geworden, die Jahrhunderte lang vor uns an Jesus Christus als den Erlöser geglaubt haben, ein Erinnerungsort für die christliche Hoffnung.
Über Mauern aus acht Jahrhunderten
Die Sülchenkirche und ihre Vorgängerinnen
Mit den Schäden an der Bischofsgruft und den ersten Planungen zu ihrer Sanierung begannen die Grabungen unter der Sülchenkirche. Als die ersten Funde zu Tage traten, war den Archäologen klar: Hier bahnt sich eine Sensation an. Es wurde weitergegraben, neu geplant und restauriert. Heute ist die Sülchenkirche ein Ort von hoher archäologischer und kirchengeschichtlicher Bedeutung.
Beim Bau der gotischen Sülchenkirche um 1450 wurden Steine einer romanischen Kirche verwendet, so viel stand beim Grabungsbeginn fest. „Es war also mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass man bei Erdbauarbeiten in der Kirche auf archäologische Relikte romanischer und älterer Vorgängerbauten sowie erfahrungsgemäß auch Gräber – Bestattungen innerhalb der Kirche – stoßen würde“, so Beate Schmid vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Schnell wurde der Archäologin klar: Die Funde unter der Kirche waren eine Sensation: Ein Gräberfeld mit 80 Gräbern kam zum Vorschein. Die Gräber, so stellte sich schnell heraus, sind nur ein Teil eines größeren Gräberfeldes. Das jedoch ist (noch) nicht erschlossen, liegt es doch großenteils unterhalb des jetzigen Friedhofs. Rätselhaft bleibt bis heute, wo die zum Friedhof gehörige frühmittelalterliche Siedlung zu finden ist. Sie bestand schon im 5. Jh., während der Friedhof unter der Sülchenkirche aus dem 6. Jh. stammt.
Unter der Kiesschicht der Kirche blieben die Skelette der Verstorbenen und deren Grabbeigaben in gutem Zustand erhalten. Erstaunlich: Die Vielfalt der Bestattungsformen und der Grabbeigaben. Besonders interessant für Christen sind zwei Zierscheiben, die mit Kreuzen versehen sind (siehe Titelbild). „Mit großer Wahrscheinlichkeit“, so Beate Schmid, deuten die Funde auf eine frühe Christianisierung im 7. Jh. hin. Im ersten Drittel des 7. Jahrhunderts waren im alamannischen Raum burgundische Kleriker missionarisch tätig, das beweisen zahlreiche andere Funde. Manche Fragen, so Beate Schmid, bleiben dabei derzeit noch offen: “Haben wir hier lediglich den jüngeren Randbereich des großen Reihengräberfelds erfasst, dessen ältere Kernzone im heutigen Friedhofsareal südlich der Kirche zu suchen ist, oder handelt es sich um die Separatgrablege einer zugewanderten (fränkischen?) Siedlergruppe und der eigentliche alamannische Reihengräberfriedhof kann immer noch nicht lokalisiert werden?“
Sülchen spielte bei der Christianisierung des Südwestens eine besondere Rolle. Die vorromanische Kirche aus dem 7 Jh. mit ihren mächtigen Wänden und ihrem wahrscheinlich überragenden Turm mit großer Glocke lassen auf einen bedeutsamen Kirchenbau schließen, der vermutlich nicht allein als Bestattungsort diente. Der Neubau der Kirche zwischen dem 8. und 10. Jh. löste die bestehende Kirche ab. Bestattungen wurden dort dann nur noch für herausragende Persönlichkeiten vollzogen. Sülchengraf Hesso oder einer seiner Nachfahren könnte den repräsentativen Bau als sogenannte Eigenkirche in Auftrag gegeben haben. Es war quasi seine private Kirche, diente aber auch den Bewohnern von Sülchen für den Gottesdienst.
Um 1170 wurde der vorromanische Bau durch einen weiteren Kirchenbau ersetzt, der dann in der 2. Hälfte des 14. Jh. entstand. Damals verwendete man die Steine der alten Kirche für die Mauern der neuen. Die heutige Sülchenkirche ist also eine Kirche, in der sich das frühe Christentum auch heute noch widerspiegelt.
Die neue Bischofsgruft
Erinnerungsort an die Bischöfe der Diözese
Bis 2011 war die Bischofsgruft unterhalb der Sülchenkirche nahe Rottenburg ein sehr ungemütlicher Ort und das nicht allein wegen der Anwesenheit der verstorbenen Bischöfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die Atmosphäre der Gruft versprühte einen maroden Charme. Heute ist die Unterkirche in Sülchen ein würdiger Ort, der für Andacht und Gottesdienst eine angemessene Atmosphäre bietet.
Wer die Stufen zur Gruft herabsteigt, wird bewusst verlangsamt. „Die Gestaltung des Weges zur Grablege folgt dem Thema des langsamen Eintauchens und bereitet den Besucher ruhig und gelassen auf den zentralen Raum der Andacht vor“, so der Architekt Andreas Cukrowicz. Der Raum der Grablege erinnert an frühzeitliche Felsengräber, die Wände wurden in Stampflehmbauweise herausgearbeitet. Der erdfeuchte Lehm aus den Ausgrabungen wurde schichtweise in vorbereitete Schalungen für die Wände eingefüllt und festgestampft. Die Bauweise ist uralt und gilt heute wieder als eine ökologische Naturbauweise. Der Besucher erlebt in dem neu entstandenen Begräbnisraum die Erde, in der viele einmal begraben sein werden, er spürt, er riecht, er sieht sie. „Von der Erde bist du gekommen und zur Erde kehrst du zurück“, so ein Gebet bei der Bestattung.
Die neuen Grabplatten sind aus Juraschiefer, der Altar ist ein massiver Block aus Gauinger Travertin. Das freistehende Kreuz im Andachtsraum, das Gittertor zum Archäologiebereich und das Geländer in der Oberkirche sind aus patiniertem Messing. Eine besondere Bedeutung hat das Licht in der neuen Bischofsgruft. Neben der dimmbaren Beleuchtung sorgt nur eine Deckenleuchte über dem Altar für eine spannungsvolle Ausleuchtung des Raumes. Andreas Cukrowicz: „Der Altar als Zentrum des Raumes dient hierbei als Reflektor und symbolisiert Jesus Christus, von ihm geht alles Licht aus. Er ist das Zentrum des Lichts, das die Welt erhellt.“
Was der Besucher nicht auf den ersten Blick erkennt, ist die Zahlensymbolik des Raumes. Der Kreis im Fußboden steht für die Vollkommenheit. Eins ist das Symbol für den Ursprung, das Unteilbare, den Himmel und das Göttliche. Die gesamte Anlage ist symmetrisch zu einer Mittelachse aufgebaut. Dadurch entsteht eine Spiegelung und die Zahl Zwei taucht im Raum auf: „Zwei steht für Gegensätze und Polarität: Gott und Mensch, Männliches und Weibliches, Tag und Nacht, Sonne und Mond, Himmel und Hölle, Leben und Tod, Gut und Böse“, so Andreas Cukrowicz. Wenn man die Raummaße anschaut, dann taucht auch immer wieder die Zahl Drei auf. Sie steht für Vollkommenheit, Dreieinigkeit und die Trinität. Sie steht für die Dreidimensionalität des Raumes, Himmel, Hölle und Fegefeuer, aber auch Geburt, Sein und Tod. Die Zahlenmystik erschließt sich dem Betrachter auf den ersten Blick natürlich nicht, aber der Besucher spürt, dass der Raum mehr als nur eine architektonische Tiefe hat.
Seit 1869 dient die Sülchenkirche als Grablege der Bischöfe. Jetzt hat sie eine würdige Gestaltung bekommen. Sie lädt den Besucher ein, inne zu halten und zurückzuschauen auf das eigene Leben, auf das der uns vorausgegangenen Bischöfe und all der Christen, die auf die Auferstehung hofften. Die Gruft in Sülchen wird damit zu einem neuen Wallfahrtsort in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.