Bischof Dr. Gebhard Fürst bei der Übergabe des Tätigkeitsberichts der diözesanen "Zwangsarbeiterkommission" 2002

Rottenburg

Als der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz am 28. August 2000 beschloss, einen kirchlichen Entschädigungs- und Versöhnungsfonds für Zwangsarbeiter einzurichten, die in den Kriegsjahren in kirchlichen Einrichtungen zu Arbeiten herangezogen worden waren, war man in der Öffentlichkeit zunächst erstaunt über diesen eigenen Weg der katholischen Kirche. Anders als die EKD beteiligte sich die katholische Kirche nicht an der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", mit der sich der Deutsche Bundestag der Initiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter angeschlossen hatte. In dieser Stiftungsinitiative war die große Gruppe von Zwangsarbeitern in der Landwirtschaft nur am Rande berücksichtigt. Diese Arbeit war mit der Schwerstarbeit in der Industrie auch nicht vergleichbar. Doch vornehmlich in diesem Bereich waren ausländische Zivilarbeiter in kirchlichen Einrichtungen beschäftigt.

Der katholische "Sonderweg zur Entschädigung", wie der Beschluss der Bischöfe apostrophiert wurde, war aber nicht nur durch die andere Zielgruppe bedingt. Von Anfang an ging es der Kirche nicht bloß um finanzielle Entschädigung, die ohnehin nur symbolischen Charakter haben konnte, so wichtig sie war und ist, sondern auch um Versöhnung. Deshalb wurde mit dem Entschädigungsfonds ein Versöhnungsfonds eingerichtet, für den in gleicher Weise fünf Millionen DM zur Verfügung gestellt wurden. Schließlich erschien es ratsam, für die Entschädigung auf die Kontakte und Erfahrungen eigener Einrichtungen wie des Suchdienstes des Deutschen Caritasverbandes oder des Maximilian-Kolbe-Werkes zurückzugreifen und selbst aktiv nach ehemaligen Zwangsarbeitern zu suchen, statt nur abzuwarten, dass diese einen Antrag auf Entschädigung stellen. Zudem hielten die Bischöfe die Meldefrist der Stiftungsinitiative (August 2001) für zu knapp bemessen und verständigten sich statt dessen auf den 31. Dezember 2002.

Dass die katholische Kirche in der Entschädigungsfrage einen eigenen Weg ging, wurde aber doch schon bald auch in der Öffentlichkeit als mutige Entscheidung, vorbildlicher Anstoß und hilfreicher Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Verantwortung begrüßt. Eine Vorreiterrolle in dieser Entwicklung konnte aus verschiedenen Gründen die Diözese Rottenburg-Stuttgart einnehmen. Als designierter Bischof konnte ich selbst Einfluss auf die weiteren Entscheidungen in dieser Frage nehmen. Am 20. Juli 2000 wurde mit einer diözesanweiten Umfrage in kirchlichen Einrichtungen begonnen und gleichzeitig das Diözesanarchiv Rottenburg mit einer entsprechenden Recherche beauftragt. Aufgrund des ersten Rücklaufs der Umfrage wurde eine "Kommission zur Klärung der Fragen nach Beschäftigung von Fremd- und Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart" von mir initiiert und mit Dekret vom 28. Juli 2000 eingerichtet. Diese Kommission unter Vorsitz von Diözesanjustitiar Dr. Waldemar Teufel hat mit der Übergabe ihres umfangreichen Tätigkeitsberichts, wofür ich ihr außerordentlich dankbar bin, ihre Arbeit beendet. Die Kommission hat hervorragende Arbeit geleistet, die es ermöglichte, mit den ehemaligen Zwangsarbeitern Kontakt aufzunehmen und sie zu entschädigen.

Das ermittelte Zahlenwerk über die in kirchlichen Einrichtungen der Diözese beschäftigten ausländischen Zivilarbeiter und Kriegsgefangenen ist natürlich nicht das ganze Ergebnis der fast zweijährigen Nachforschungen. Zunächst war eine möglichst umfassende Quellenerhebung zu leisten, zumal es in dieser Frage noch kaum Vorarbeiten gab. Neben den eigenen kirchlichen Archiven, Chroniken und Aufzeichnungen waren die Meldeunterlagen der Krankenkassen und Sozialversicherungsträger, der Landkreise und Kommunen zu durchforsten und auszuwerten. Ich bin auch den Vertretern dieser Institutionen außerordentlich dankbar, dass sie durch ihr Mitwirken und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit zur Aufklärung der vielfach ungeklärten Verhältnisse beigetragen haben. Auch den Vertretern der Erzdiözese Freiburg, der beiden evangelischen Landeskirchen und des Kirchlichen Suchdienstes sowie allen anderen Beteiligten möchte ich für ihre Kooperation nochmals ausdrücklich danken, was Dr. Teufel ja bereits ausführlich getan hat.

Zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Quellen gehört auch ihre Einordnung in den geschichtlichen Kontext. Nach neueren Schätzungen waren im Deutschen Reich insgesamt 13 Millionen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene beschäftigt (so Dr. Mark Spoerer von der Universität Hohenheim). Die Zahl der dem kirchlichen Entschädigungsfonds gemeldeten Zwangsarbeiter aus katholischen Einrichtungen (der Personenkreis der Kriegsgefangenen hat keinen Anspruch auf finanzielle Entschädigung) lag bis April bei 3.200. In unserer Diözese waren es 325 Beschäftigungsverhältnisse (einschließlich der Kriegsgefangenen) fast ausschließlich in den Bereichen Land-, Haus- und Forstwirtschaft. Gemessen an der Gesamtzahl der Zwangsarbeiter liegt die Zahl der Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen unter der Promille-Grenze, ist also verschwindend gering. Die katholische Kirche hat also keineswegs Zwangsarbeiter "im großen Umfang" (Monitor), "im großen Stil" (Spiegel) oder "flächendeckend" (Welt am Sonntag) beschäftigt. Dies zu sagen gehört zur historischen Wahrheit, ohne damit die Tatsache als solche herunterreden oder die tatsächliche Schuld leugnen zu wollen.

Ganz im Gegenteil: zur Bewältigung von Schuld gehört wesentlich das Bemühen um Versöhnung. Hinter den erhobenen Zahlen stehen ja ganz persönliche und konkrete Schicksale. Allerdings konnte, darauf hat Dr. Teufel in seinem Statement hingewiesen, trotz sehr intensiver und umfangreicher Nachforschungen kaum qualifiziert eine Aussage darüber gemacht werden, wie es den Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen tatsächlich ergangen ist. Hier sind zweifellos noch weitere Forschungen notwendig. Ich selbst konnte mich aber bei der Begegnung mit den fünf Frauen und drei Männern aus Polen und der Ukraine sowie ihren Begleitpersonen, die ich im Oktober 2001 hier im Bischofshaus begrüßen konnte und die ich zu einem dreiwöchigen Aufenthalt in die Diözese eingeladen hatte, davon überzeugen, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter/innen in unseren Einrichtungen menschlich behandelt wurden.

Der Kommissionsvorsitzende Dr. Teufel hat zurecht betont, dass der Tätigkeitsbericht kein "Abschlussbericht" sein will. Mit der finanziellen Entschädigung wird auch in der Zwangsarbeiterfrage kein Schlussstrich unter die Vergangenheit des Dritten Reiches gezogen. Verständigung und Versöhnung zwischen Menschen und Völkern bleiben vielmehr stets eine aktuelle Herausforderung. Ich möchte an dieser Stelle auch der diözesanen Projektgruppe "Versöhnung" unter Leitung von Hans-Josef Birner (Rottenmünster) herzlich für die geleistete Arbeit danken. Es hat sich gezeigt, dass aufgrund des hohen Alters und der angeschlagenen Gesundheit vieler der noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter/innen eine Begegnung oder ein Kuraufenthalt nur unter großen Schwierigkeiten organisiert werden kann. Dennoch wollen wir erreichen, dass im Herbst dieses Jahres wieder eine Begegnung in unserer Diözese zustande kommt. Darüber hinaus möchte ich den Vorschlag der Kommission aufgreifen, mit den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern auch deren Enkel in die Diözese einzuladen. Ich habe vor, das Bischöfliche Jugendamt in Wernau zu bitten, entsprechend initiativ zu werden und ein Rahmenprogramm dafür zu erstellen. Das wäre eine sehr schöne Geste, wenn ein solcher Besuch von ehemaligen Zwangsarbeitern und/oder ihren Enkeln in der Diözese im Zusammenhang mit unserem 175-Jahr-Jubiläum im nächsten Jahr stehen könnte.

Ihnen allen möchte ich nochmals meinen herzlichen Dank und meine hohe Anerkennung aussprechen für die wissenschaftliche Aufarbeitung und Ihr Engagement im Dienst von Erinnerung, Verantwortung und Versöhnung.

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