Stuttgart
Liebe Schwestern und Brüder!
Glaube, Liebe, Hoffnung: Eine Ausstellung erinnert uns an die wesentlichen Inhalte unseren Glaubens.
Glaube, dass Gott Mensch geworden ist, damit der Mensch Mensch werden kann, dem anderen Menschen, dem Nächsten, dem Fernsten, dem Bekannten, dem Fremden.
Hoffnung, dass Hass, Streit, Krieg und Tod nicht die letzten Worte sind, sondern dass es Auferstehung gibt: Auferstehung, Neuanfang, mitten im Alltag, immer wieder, Auferstehung, zu der wir aufgerufen sind, uns an ihrer Bewegung zu beteiligen, getragen von der Hoffnung, dass Gott den Tod ein und für allemal überwunden hat.
Liebe (die größte unter den dreien) Liebe gerade dort, wo es schwer fällt, Nächsten- und Fernstenliebe, Liebe nicht als diffuse Harmonie oder Kumpanei, Liebe als Grundausrichtung, eine Haltung, die auch schwerfällt.
Liebe, und wir können da die verschiedensten Texte in Erinnerung rufen:
‚du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst‘, ‚wenn dich einer schlägt, halte ihm auch die andere Backe hin‘ oder eben jene paulinischen Worte aus dem ersten Korintherbrief.
Das mag naiv oder politisch unklug sein, aber das ist nicht der Maßstab, an dem wir uns ausrichten sollen, nein, radikale Nächsten- und Fernsten-, Bekannten- wie Fremdenliebe verlangt uns ab, Maß zu nehmen an der Liebe, die Jesus aus Nazareth uns vorgelebt hat. Stellvertretende Liebe, die bereit ist, bis ins Letzte zu gehen.
Papst Johannes Paul II. erinnert uns geradezu prophetisch immer wieder an diesen unverzichtbaren und unaustauschbaren Kern christlicher Botschaft, den Urbestand christlicher Nächstenliebe, die er wiederholt mit ‚Zivilisation der Liebe‘ zu beschreiben versucht hat.
Kardinal Kasper sagte letzten Sonntag in Weingarten über den Heiligen Martin Sätze, die ich gerne auch heute wiederholen und uns allen ins Stammbuch schreiben möchte, weil sie uns als Christen nicht nur betreffen, sondern im tiefsten Grund ausmachen. Walter Kasper hatte Martin als Protagonisten einer ‚neuen Kultur des Miteinanders, der Gerechtigkeit, des Teilens und der Barmherzigkeit‘ bezeichnet und dann versucht, im Anschluß an die Bischofssynode gerade in unseren Tagen zu buchstabieren, was Frieden heute heißt. "Dialog ist heute das neue Wort für Frieden ... Dialog zwischen den Religionen und zwischen den Konfessionen, mehr Dialog auch in unserer Kirche selbst." Es ist dies, so Kasper, "eine menschenfreundliche, arme Kirche, in der der Priester und Bischof nicht als der Herr, sondern als Vater, als Bruder und Freund, als einer, welcher den anderen auf gleicher Augenhöhe begegnet." Ich möchte diesen Dialog in einer sich begegnenden Augenhöhe als das notwendige, charakteristische Kennzeichen einer Kirche im 21. Jahrhundert benennen. Eine Kirche, die ihre Wurzeln, ihre Geschichten und Traditionen sehr wohl kennt, die aber offen und dialogbereit ihren Platz mitten in der Welt einnimmt. Ein Dialog, der lernbereit und auf gleicher Augenhöhe den anderen auch zuhört und sie wirklich ernstnimmt, ohne ihnen besserwisserisch vorschnell ins Wort zu fallen, weil man insgeheim die Wahrheit ja doch immer schon besser kennt. Eine lernbereite und so lernfähige Kirche, die ihre Geschichten und ihre Botschaft auf immer neue Art und Weise zu erzählen versucht, die aber auch offen und unvoreingenommen den anderen, den ganz anderen, den Fremden anzunehmen, zuzuhören bereit ist.
Ich bin froh und dankbar, dass wir mit dieser Ausstellung ein konkretes Beispiel für den offenen Dialog in Augenhöhe erleben. Glaube – Liebe – Hoffnung. Der iranische Fotograf Abbas hat jahrelang danach gesucht. Er ist durch die ganze Welt gereist und hat auf allen Kontinenten Glaube und Liebe und Hoffnung gefunden, in Gesichtern und Gebärden, in Symbolen und Riten. Er hat aber auch Unglaube entdeckt, er hat Hass gefunden und Resignation. Beide Seiten unserer Religion, die versöhnende wie auch die trennende, hat Abbas in seinen Schwarzweißfotos festgehalten.
Als Muslim fragt Abbas nach unserem Glauben, unserer Liebe, unserer Hoffnung, genauso wie er vorher in seiner ersten fotografischen Reise Anfang der 90er Jahre den Islam mit seiner Kamera befragt hat. Abbas gibt keine Antworten, doch seine Bilder. Sie zeigen, wie leicht Glaube in Unglaube, Liebe in Hass und Hoffnung in Resignation umschlagen können.
Ein solcher Dialog ist anstrengend, er mag zeitweise eine Zumutung und jedenfalls eine Beunruhigung sein, aber er ist im wahrsten Sinn des Wortes not-wendig und friedensstiftend. Seitdem Terror und Krieg die Weltbühne beherrschen, spüren wir, welch unheilvolle Kraft der falsch verstandenen Religion innewohnen kann, wie leicht der Glauben von Menschen mißbraucht werden kann, wie schnell die liebende Zuwendung zum anderen, zur anderen Nation, Kultur oder Religion in feindseliges, vorurteilbeladenes Verurteilen umschlagen kann.
Glaube – Hoffnung – Liebe, der Fotograf Abbas hat sich auf die Suche gemacht, diese drei in den Gesichtern der Menschen zu suchen. Ich wünsche Ihnen und ich wünsche mir selbst, dass auch wir uns dieser Suche anschließen. Wir werden vielleicht manch Bekanntes entdecken, aber wir sollten, in Respekt und beim Versuch eines Dialogs auf gleicher Augenhöhe, ebenso offen sein für das Andere, den neuen, überraschenden Blick, das fremde Zugehen. Womöglich entstehen gerade so Brücken des wechselseitigen Verstehens. In diesen Tagen, in denen viele Menschen auf der Suche nach Feindbildern sind, sind solche Brücken für unsere Menschheit überlebenswichtig.
So entsteht wirklicher Dialog, der auch neue Dimensionen und Horizonte kennenlernt. Ansonsten bleiben wir letztlich doch immer auf der gleichen Stelle stehen, versuchen explizit oder insgeheim das Andere, Fremde, Bedrohliche zu vereinnahmen und gleichzumachen. In einem solchen nur scheinbar offenen Dialog jedoch würden sich die anderen über kurz oder lang nicht mehr respektiert und ihre Wahrheit auch nicht wahrgenommen fühlen. Das aber hieße nicht nur, sich selbst wichtige Gesichtspunkte der Wahrheit zu nehmen, sondern letztlich den anderen auch auszugrenzen, eine Bewegung, die letztlich der Samen neuen Unfriedens sein wird.
Das neue Wort für Frieden heißt Dialog.
Amen.