Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt am Ersten Weihnachtsfeiertag 2008

Rottenburg, Dom St. Martin

Liebe in weihnachtlicher Freude versammelte Schwestern und Brüder!

Das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ ist das gemütvollste Weihnachtslied, das ich kenne. Gestern am frühen Nachmittag habe ich es im Gefängnis zusammen mit den Gefangenen gesungen. Und heute Nacht hier im Dom haben wir es gemeinsam gesungen: "Stille Nacht, heilige Nacht". In seiner letzten Strophe mündet es in den Freuden-Ruf: "Christ der Retter ist da!"

"Christ der Retter ist da!" - Liebe Schwestern, liebe Brüder, das ist der Kern der Weihnachtsbotschaft: Im göttlichen Kind im Stall von Bethlehem, in Jesus, ist der Welt der wahre Retter geboren. In ihm ist die Rettung der Menschheit. In ihm ist die Rettung von dir und mir, von uns allen angekommen. Liebe Schwestern, liebe Brüder, wie können wir das verstehen?

Das Wort vom Retten und von der Rettung haben wir in den letzten Wochen ja oft gehört. Aber doch in ganz anderen Zusammenhängen. Rettungspakete werden geschnürt. Große Banken sind zusammengebrochen und die Börsenkurse weltweit abgestürzt. Ganze Industrien warten auf Rettung, damit wir alle schließlich nichat abstürzen. Viele Menschen weltweit sind ja schon um ihr Hab und Gut gekommen, ihrer Zukunft beraubt. Noch hören wir mehr oder weniger bloß davon, zu spüren haben wir es - mit Ausnahme weniger Menschen - noch nicht wirklich bekommen. Aber was wird morgen geschehen?

Liebe Schwestern, liebe Brüder! Wie konnte es soweit kommen? Einige Finanzjoungleure - besessen von Geldgier, von einer Hab-Sucht ohne gleichen angetrieben - haben uns diese Bescherung bereitet. Sie haben sich nicht mehr um Gott und die Mitmenschen gekümmert, sondern einzig und allein nur um sich selbst. Aber Hand aufs Herz - viele haben ja auch mitgespielt. Auch bei uns. Einiges haben wir schon gelernt aus dieser Krise: die sichtbar gewordene menschenverachtende Gier nach Geld, die zu immer spektakuläreren Geschäften antreibt und anreizt, das bringt uns Menschen nicht bleibendes Glück, nicht bleibendes Leben, sondern eher Kollaps, Unheil, ja Tod.

Gott war im Gehen, er wurde hinauskomplementiert aus den sogenannten Eigengesetzlichkeiten von Wirtschaft und Welt und Gesellschaft. Gott spielt im Leben von immer weniger Menschen eine wirkliche Rolle. Liebe Schwestern, liebe Brüder, wer aber aufhört, Gott zu ehren, der fängt bald an, sich selbst groß auf zu spielen. Wenn Gott geht, dann kommen die Götzen, sagen wir zu Recht. Wohin führt Gottlosigkeit? Offensichtlich dazu, dass Menschen meinen, sich selbst retten zu müssen. Mancher, manche, leider gerade solche, die viel Macht in ihren Händen haben, sahen Rettung, eigene Rettung im schnellen Geld, koste es was es wolle! Aber das haben wir schon erfahren. Da war nicht wirklich Rettung. Unsere Tage zeigen uns wohin solche Irrwege führen. Wir erleben die Desillusionierung der Selbstgefälligkeit, eigenes Glück durch das Materielle, durch das große Geld machen zu wollen und zu können.

Gott war im Gehen, heute ist er im Kommen. Viele kommen zur Besinnung in diesen Tagen ob dieser schlimmen Nachricht, hoffentlich, kann ich nur sagen, liebe Schwestern und Brüder. Gott ist gegangen, er ist wieder im Kommen. An Weihnachten feiern wir seine Gegenwart, er ist da, mitten unter uns. Christus der Retter ist da!

Liebe Schwestern und Brüder, wie selten stellt uns dieses Weihnachtsfest 2008 vor dem Jahreswechsel und dem Blick ins Neue Jahr vor die Alternative: Gott oder großes Geld. Der in Bethlehem geborene Jesus wird später seinen Jüngern warnend zurufen: „Niemand kann zwei Herren dienen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon zugleich“(Mt 4,10). Entscheidet euch!

Liebe Schwestern und Brüder! Wovon lassen wir unser Leben im letzten bestimmen? Wem erlauben wir, uns zu beherrschen? Was ist der Sinn, von dem her wir leben? Von wem erwarten wir Rettung? Ist es der Götze Mammon, der selbstsüchtig und habsüchtig macht? Oder ist es der den Hirten auf den Feldern von Bethlehem verkündete Gott, der Gott, der uns von Süchten befreit, weil er sich uns kostenlos schenkt? – Glauben wir an den Gott für uns, an den Gott, der nicht haben, sondern der sich uns selbst schenken will?

Rücken wir den Gott Jesu wieder in die Mitte! Besser gesagt: lassen wir Gott wieder zur Welt kommen - in unsere Welt? Lassen wir uns von ihm wieder leiten, lassen wir uns von ihm beleben, anspornen, erretten? Geben wir dem Gott der Liebe wieder Raum, statt Gier und Hab-Sucht herrschen zu lassen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, das heißt ja nicht, dass wir unsere alltäglichen Geschäfte verantwortlich gestalten wollen und sollen. Aber alles der Reihe nach. Das Unvergängliche kommt vor dem Vergänglichen.

Der Gott, der in Jesus ein Menschenkind geworden ist, ist alles andere als ein Gott oder Götze der Hab-Sucht. Der Gott, der in Jesus von Nazareth Mensch wird, ist der menschenfreundliche, der menschendienliche, der die Menschen liebende Gott, der in verschwenderischer Liebe für uns da ist – ein Gott, der nicht rafft und giert für sich selbst, sondern ein Gott, der freigebig mit sich selbst umgeht, der sich nicht abschottet, sondern der sein Sein und Haben uns mitteilt, der sein Leben uns mitteilt, der sich hingibt für unser alltäglich gutes, für unser ewiges Leben, für Leben, das bleibt und nicht vergeht. - Das was uns hier begegenet in Gott selbst und dem Kind in der Krippe ist das Gegenteil aller Hab-Sucht, Weihnacht ist die Freude daran, sich selbst herzugeben, sich zu schenken für Andere.

Liebe Schwestern und Brüder, die Rettung kommt von diesem Gott in unserem Fleisch: In Jesus offenbart sich uns der rettende, der uns Menschen liebende Gott. Er erschließt uns in seiner Menschwerdung wahres Leben, wahres Leben, das bleibt. Aus ihm und wenn wir uns ihn in die Mitte stellen, stammt die Kultur des Lebens als Geschenk Gottes. Gott rettet aus dem Unheil, er rettet zum Leben: die Weisheit Gottes für die Menschen liegt in der Krippe. Die Weisheit Gottes, die in Jesus Fleisch angenommen hat, ist im Leben Jesu sichtbar geworden, erfahrbar, spürbar, ja berührbar: die Weisheit Gottes, die die Weisheit der Menschen werden möge, ist uns erschienen in Jesus – geboren in Bethlehem. Das ist Weihnacht.

Wo dieser Gott in der Mitte steht – da steht auch der Mensch in der Mitte. Da hat der Mensch Vorrang vor Profit und vor Kapital. - Der Vorrang Gottes beschert dem Menschen Vorrang vor allem, Vorrang vor dem Geld, Vorrang vor dem Erfolg und vor der Leistung, vor der Schönheit und von der Kraft - und das zu unser aller Glück. Hildegard von Bingen, diese weise Frau, formuliert das so: „Gottes Sohn wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott.“ Wo Menschen Heimat haben in Gott, wo Menschen sich vom Mensch gewordenen Gott her bestimmen lassen, da gewinnen alle. Jeder einzelne für sich, füreinander und wir in unserem Zusammenleben.

Wo wir Gott den Ersten sein lassen, da retten wir Menschen wirklich. In unserem Tun, liebe Schwestern, liebe Brüder, wird sich zeigen, welchem Gott wir huldigen, dem liebenden Gott, dem Kind in der Krippe, der Liebe ins Leben bringt - oder dem Götzen des Habens und des Raffens. Habsucht verschlingt Leben – Liebe schließt das Land des Lebens auf.

Zuhause Sein in Gottes hingebendem Sein, das ist das Fest, das Weihnachtsfest, das wir heute feiern. Das feiern wir, Gottes hingebendes Sein für uns, Gott in Jesus von Nazareth und wir sehen ihn, den Schöpfer der Welt in diesem Menschen, wie er handelt, wie er für die Anderen da ist, seine guten Worte, die er für andere hat, sein Leben, besonders für die Armen und die Schwachen. Sein Sterben und sein Auferstehen, das alles bringt uns Menschen wahres Leben – Sinn und Erfüllung heute und über das Vergängliche hinaus in alle Ewigkeit. – Selbst beheimatet in diesem Gott, bin ich erlöst von den Götzen, die mir nach dem Leben trachten.

Und Weihnachten führt uns noch einen letzten Schritt weiter. Weihnachten führt mich hin zu meinem Nächsten. Vinzenz von Paul, der Heilige der Nächstenliebe, von ihm stammt das wunderbare Wort: „Gottes Sohn ist Mensch geworden, nicht nur, damit ER uns rette, sondern dass wir selber Retter würden wie Er, indem wir mitarbeiten am Heil der Menschen.“

Liebe Schwestern, liebe Brüder, „dass wir selber Retter würden wir Er, indem wir mitarbeiten am Heil der Menschen.“ Darum geht es: Selber Retter werden füreinander wie Gott, lieben wie Jesus von Nazareth die Menschen geliebt hat. Aus dem Geist des menschgewordenen Gottessohnes nicht für sich selbst, sondern für andere leben, das rettet die Welt, das schenkt dem Leben Zukunft. Das können wir lernen in diesen Tagen.

Wie soll das geschehen? Die Gestalt des Retters wird uns heute vor Augen geführt: Jesus Christus. Er ist die Rettergestalt, die uns in seine Nachfolge ruft. Gott ist Mensch geworden – Jesus zeigt uns in seinem Leben wer und wie Gott ist, nicht sich selbst genug, sondern „Da für uns“. Christus der Retter will uns bewegen nach dem Bilde Gottes, das in ihm lebendig geworden ist und gegenwärtig selbst zu leben. Unsere Hab-Süchte durch die Anerkenntnis des rettenden Gottes überwinden – darin liegt schlussendlich die Rettung der Welt.

Ja, unsere Lieder die wir an Weihnachten singen münden ein in den Ruf: Christ der Retter ist da! Wir wissen wie dieser Retter handelt und wie er sich verhält. Blicken wir auf Jesus in der Krippe, in dem sich uns Gott selbst zeigt als Modell eines Lebens, das heilsam ist und voller Rettung. Nehmen wir dieses Modell selbst auf. Werden wir Mitarbeiter am Heil der Menschen: das erlöst uns, das rettet wirklich! Liebe Schwestern, liebe Brüder, so erreicht die Botschaft von Weihnachten in uns selbst das Ziel. Dann können wir inmitten der globalisierten Welt sagen: „alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes.“ (Jes 52,10) So, liebe Schwestern und Brüder, klingt der Freudenruf aus der stillen, heiligen Nacht herein in unseren Tag. So wird aus diesem Freudenruf „Christ der Retter ist da!“ wirklich für uns Heil, wir werden zu Menschen, die füreinander zum Retter werden.

Amen.

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