Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt beim Jugendgottesdienst 2002

Rottweil

Schrifttext: Joh 14,1-12

Liebe Mädchen und Jungen, liebe Schwestern und Brüder!

Bleiben wir beim Bild des Labyrinthes. Ein Labyrinth, viele Wege, unübersichtlich, man kann sich auch keinen Überblick verschaffen, kann nur hoffen, dass irgendein Weg überhaupt richtig ist, zum Ausgang führt. Man probiert und probiert, wieder und wieder, kann irgendwann nicht einmal mehr sagen, ob man einen bestimmten Weg nicht schon einmal eingeschlagen hatte.

Viele werden da unsere Gegenwart gut wiedererkennen, manch einer zudem seine persönliche Lebenssituation. Wir haben in unserer Zeit so viele Möglichkeiten wie noch nie, so viele Angebote, unterschiedliche Lebensstile, bei denen wir uns oft nicht einmal entscheiden müssen, die wir kombinieren und ergreifen können: Zugegriffen, das Leben ein großer Markt unendlicher Möglichkeiten. Aber, wer kennt es nicht: oft herrscht nicht Freude über diese Vielfalt, sondern Angst angesichts einer erdrückenden, unübersichtlichen Wahllosigkeit. Die Angst, das Falsche zu wählen, sich zu irren, zu verirren, das Leben unter all diesen Möglichkeiten, den entscheidenden Kick zu verpassen.

Es ist zum Verzweifeln, zum Verrücktwerden, zumindest erzeugt es Angst und erhebliches Herzklopfen, im Evangelium hatte Jesus genau dieses Gefühl "mit euer Herz lasse sich nicht verwirren" angesprochen. Herzverwirrung, Erschütterung bis auf den Grund der Existenz, Nicht-aus-noch-ein-Wissen, Aufgewühltsein durch Angst und Erschrecken über die eigene Situation, die Angst unterzugehen angesichts einer Zeit, die doch ein buntes Tableau unendlicher Verheißungen und Verlockungen anbietet.

Und noch etwas: Bei vielen erzeugt die unendliche Möglichkeit, immer neu wählen zu können ein resigniertes und desinteressiertes Achselzucken. Was soll ich da wählen, wo sowieso alles egal ist. Wo behauptet wird, alle Wege seien gleich gültig, schleicht sich bald eine Stimmung der Gleichgültigkeit ein. Auch das scheint mir eine ebenso gefährliche Art zu sein, sich das Herz verwirren zu lassen.

Und mitten in diese Situation, mitten in unser Labyrinth treffen jetzt Worte wie die zärtliche Hand einer Mutter, die ihrem ängstlich-verzagten Kind über den Kopf streicht: "Euer Herz sei ohne Angst, lasse sich nicht verwirren!" Worte wie ein wärmender Sonnenstrahl, wie ein Kompaß, ein Leuchtturm oder eben, um in der anderen Geschichte zu bleiben, wie der entscheidende, wegweisende Faden aus dem Labyrinth.

Aber können wir dem trauen, ist diese Zusage, dieser mutmachende Zuruf über die Zeiten hinweg tragfähig und vertrauenswürdig? Schauen wir uns den von Jesus angebotenen Weg genauer an, denn dann stoßen wir bald auf die zweite wunderbare Aussage. Mitten in das Labyrinth, mitten in manche Ausweglosigkeit unserer Zeit und unseres Lebens kommt einer und sagt: Es gibt einen Weg, einen Aus-Weg. Ich bin der Weg. Jesus der Weg: Das ist neu, radikal neu, Jesus bietet nicht dies oder das Rezept an, nicht die eine oder andere Abkürzung, sondern sich selbst. Jesus der Weg, für mich, für dich, für uns alle.

Jesus tut nicht so, als wäre damit alles gelöst, die Probleme und Fragen für uns abgenommen, aber: Es gibt ihn, den Weg! Richten wir unser Leben an Jesus aus, brechen wir in unseren Leben in seine Nachfolge auf, da begleitet uns seine Zusage. Wenn ein Mensch aus seinen Ängstlichkeiten aufbricht, aufsteht und losgeht, da geschieht, mitten im Alltag, Auferstehung. Das ist oft nicht leicht, dieses Aufstehen, wer selbst schon einmal erlebt hat, wie es ist, ängstlich zusammengekrümmt in einer Ecke zu sitzen, für den ist das alles andere als leicht, aufzubrechen. Deshalb ist es wichtig, miteinander auf dem Weg zu sein, einander zu ermuntern, anderen Mut zu machen, ihnen von eigenen Erfahrungen weiter zu erzählen und sie so auf den Jesus-Weg anzustiften. Dieses Prinzip Jesu im eigenen Leben und für andere anzuwenden, das heißt, von ihm zu lernen. Zu lernen, dass zuerst und zuletzt der Weg nicht dies oder das, nicht dieser Kick oder jener letzte Schrei ist, sondern: ein Mensch, ein liebender Mensch für andere.

Aber nochmal zurückgefragt: Kann ich mich darauf stützen? Kann ich in dieser Welt mit ihrer Unübersichtlichkeit Halt und Orientierung finden? Das nimmt einem an manchen Tagen doch regelrecht den Atem, schnürt einem die Kehle zu. Und da kommt einer und sagt: Es gibt Wahrheit in all der Gleichgültigkeit, Wahrheit für die Fragen, es gibt das Angebot, die Zusage einer Wahrheit, die verläßlich ist: Ich bin die Wahrheit. Kein selbstgebastelter Lebenssinn, kein künstliches Lebenskonstrukt, nein, eine Wahrheit aus Fleisch und Blut, die Wahrheit eines Menschenlebens, ein lebender Mensch für andere. Wahrheit ist nicht hier oder da, die Wahrheit ist der Mensch aus Nazareth. Das Leben und Lieben Jesu, sein Erzählen vom Reich Gottes und sein heilsames Handeln für Menschen, sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung: Das ist keine abstrakte Wahrheit, das ist heilsame Wahrheit für die Menschen, heilsame Wahrheit für uns.

Aber nochmal nachgefragt: Komme ich da vor? Muß ich mein Leben aufgeben, der Welt ade sagen, ist es dann nicht möglich und erlaubt, als Mensch glücklich und sinnvoll zu leben? Verspiel ich nicht mein eigenes Leben, wenn ich mich darauf einlasse? Und da kommt einer und sagt: Ja, du darfst leben, Ich bin das Leben. Du bist befreit, dein Leben als Mensch zu leben: In diesem Bild hat Leben Platz, dieser Jesus-Weg nimmt uns unsere eigenen Lebenswege nicht ab, die bleiben zu gehen. Er sagt aber zu: Das, wonach du dich sehnst, das, was dich erfüllt, das bin ich! Wo ein Mensch aufatmet, dies annimmt und erfährt: Ich darf leben, wo einer sein Leben im Leben findet, da geschieht Auferstehung, mitten im Leben.

Und einer, der auf Jesus baut, der sein Leben wagt auf die Zusage "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", so einer, der stiftet andere an, reißt mit, wird mit den Erfahrungen seines Lebens zum Mittäter. So einer, so eine werden auch für andere verläßlich, treu, wahr, ein Halt, ein lebendiger, vorgelebter Lebensfaden im Labyrinth, so Menschen werden zum Zeichen dafür, dass Gott selbst seine Hand nicht wegnimmt, sondern treu ist. Wer sein Leben von Jesus her lebt, der kann auch andere Menschen leben lassen, der braucht sich nicht ängstlich an sein Leben klammern, sein Leben absichern, so einer kann Anteil geben an seinem Leben, einladen zum Mitleben. Wer aus Jesus lebt, der macht Leben möglich in seinem Umkreis.

So wird das Evangelium, das uns Antwort auf das Labyrinth unseren Lebens gibt, zugleich zur ständigen Anfrage an uns: Wo ermöglichen wir einander und für andere Wege des Lebens, wo sind wir spürbar und tragfähig füreinander und für andere Menschen da? Da wo wir für andere Leben möglich machen, da leben wir selbst. Da zeigen wir anderen Räume des Lebens und finden so unser Leben. Da leben wir im Geist Jesu Christi.

Amen.

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