Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt Chrisammesse 2011

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt, liebe Diakone,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!


In der Einführung zur Liturgie der Weihe der Heiligen Öle heißt es ganz im Sinne der Konstitution über die heilige Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils (Art. 41): „Der Bischof feiert die Chrisammesse gemeinsam mit Priestern aus den verschiedenen Regionen seiner Diözese und weiht dabei den Chrisam und die anderen Öle. Denn mit dem vom Bischof geweihten Chrisam werden die Neugetauften gesalbt und in der Firmung besiegelt; mit dem Katechumenenöl werden die Katechumenen, die Taufbewerber, auf den Empfang der Taufe vorbereitet; durch die Salbung mit Krankenöl werden die Kranken in ihren Leiden aufgerichtet.“ (Pontifikale Bd. IV,171)

Die sakramentale Dimension, die sichtbar-zeichenhafte Dimension unserer Kirche, stellt sich uns in der Chrisammesse in besonderer Weise vor Augen. Um eine Dimension der oft nicht mehr verstandenen sakramentalen Gestalt unserer Kirche geht es also in der Feier der Liturgie der Weihe der Heiligen Öle.
Sakramente sind ja zeichenhafte Handlungen, die in besonderen Formen vollzogen werden. Und sie zeigen den Menschen in sinnlich wahrnehmbarer Weise, was Gott an uns tut. Sie stellen zeichenhaft dar und führen vor Augen, dass Gottes Heil an uns Menschen wirklich geschieht. Die Salbung mit heiligem Öl ist dabei ein sichtbares Zeichen dafür, dass Gottes Handeln an uns stärkend und heilend wirkt.

Unter den sichtbaren Zeichen und Gesten geschieht etwas, was wir mit unseren Sinnen sehen und erleben, ja leibhaft erfahren können. In unserer Kirche wird sichtbar, was wir glauben. Sichtbare Zeichen, Zeichen-Handlungen, stellen uns vor Augen, was wir im Glauben geistlich wahrnehmen und was von Gott her an uns geschieht: sein Heilshandeln für uns.
Liebe Schwestern und Brüder, vergessen wir in unserem gegenwärtigen kirchlichen Leben nicht, dass wir neben der Kirche des Wortes, in der Glaube vom Hören kommt, auch Kirche der Gesten und Zeichen sind, in der sich Gottes Kraft durch die Sinne des Sehens und des körperlichen Spürens vermittelt und erfahrbar wird. Das meint sakramentale Kirche. Die Sakramente zum Heil und zur Heilung des Menschen, besonders deutlich im Sakrament der Krankensalbung, leben von dieser sakramentalen, zeichenhaft-sichtbaren Dimension unserer Kirche, die fest verwurzelt ist bei Jesus Christus selbst.

„Denn das sakramentale Element hat seinen festen Platz im ganzen Wirken Jesu.“ Jesus selbst war kein Spiritualist, kein Mensch ausschließlich vergeistigter Innerlichkeit. Jesus hat um die Bedeutung der äußeren Ausdrucksformen, der Gesten und Zeichen gewusst (vgl. Lang FTh,II,53). Die leiblich-sinnliche Sphäre zeigt, sie lässt beim Menschen, der aus Leib und Seele besteht, erkennen, sehen und spüren, was mitgeteilt wird. Das ganze Verhalten Jesu zeigt, „dass er das sinnliche Zeichen und die sinnliche Handlung als Unterpfand geistiger und ‚jenseitiger’ göttlicher Kräfte geschätzt und genützt hat. Er heilt Kranke durch Gesten und Zeichen, durch Handauflegung und Berührung, er ließ seine Jünger die Kranken mit Öl salben. (vgl. ebd.) Jesus vollzieht solche Zeichenhandlungen für den ganzheitlich verstandenen Menschen, ihm zu Heil und Heilung.

Liebe Mitbrüder, das sinnliche Zeichen und die sinnliche Handlung als Unterpfand geistiger und ‚jenseitiger’ göttlicher Kräfte in der christlichen Kultur der Sakramente und der Sakramentalien unserer Kirche dürfen wir nicht gering schätzen und darf nicht verlorengehen! Die Esoterik und die esoterischen Zirkel mit ihren magischen Steinen und Praktiken und die Gurus, die den suchenden Menschen ihre Zeichen legen, werden uns sonst unseres Ureigensten berauben, der Heilsdimension der christlichen Religion für den ganzen Menschen.
In unserer geschwätzigen, flüchtigen Zeit ist die Sehnsucht nach heilenden Gesten, Zeichen, Riten und Ritualen groß geworden! Das Vielreden ist in einer Zeit der auf uns multimedial niederprasselnden Informationen, Meinungen und Theorien, in einer Zeit des unendlichen Geredes zu Recht in Kritik geraten. Unser Sprechen ist oberflächlich geworden und deshalb oft steril, kraftlos und digital, technisch ohne sinnenhaft erfahrbare menschliche Gesten heilsamer Nähe. In den Sakramenten der Kirche, in den Sakramentalien, in den heilenden Gesten und Zeichen aus christlichem Glauben haben wir einen großen Schatz sinnenhaft erfahrbarer menschlicher Gesten heilsamer Nähe.

Der große Filmemacher Pierre Paolo Passolini – er hat das Evangelium des Matthäus verfilmt – weiß um diese Gefährdung unserer Zeit. „Sie wissen, - schreibt er einem Freund - dass die Kultur bestimmte Leitbilder schafft, dass diese Leitbilder das Verhalten bestimmen, dass Verhalten (auch) eine Sprache ist und dass in einem historischen Moment, wo die verbale Sprache immer mehr im Konventionellen erstarrt und völlig steril (sprich: technisch) wird, die Sprache des körperlich mimischen Verhaltens um so ausschlaggebender wird.“ (Pierre Paolo Passolini, Freibeuterschriften, Berlin, 1978, S. 43)

Die Sprache des körperlich mimischen Verhaltens – also die sinnenhaft erfahrbaren Gesten und Zeichen – sind heute von besonderer wichtig. Die sinnlichen Zeichen und die sinnliche Handlung als Unterpfand geistiger und jenseitiger göttlicher Kräfte, unsere Sakramente und Sakramentalien sind also kein religiöses Gedöns unaufgeklärter Hinterwäldler, sondern sind gerade heute von großer Bedeutung für die Menschen. Wo wir in diesem Sinne Gesten und Zeichen vollziehen, also sakramentale, sichtbare Kirche sind, da sind wir im höchsten Maße zeitgenössisch!
Im Lied über unsere Kirche: „Ein Haus von Glorie schauet“ (GL 639,4) singen wir in der vierten Strophe: „Seht Gottes Zelt auf Erden! Verborgen ist er da, in menschlichen Gebärden bleibt er den Menschen nah.“
Die Dimension der erfahrbaren menschlichen Gebärden, der sichtbaren Zeichen, der anschaulichen Sinn-Bilder – das sind die Sakramente und Sakramentalien auch – gehören zum großen heilsamen, Heil vermittelnden Schatz unserer Kirche. Wer meint, das sei mit einer Kirche aus der Kraft des Geistes, mit einem mystischen und intellektuell verantworteten Kirchesein nicht vereinbar, der möge bei dem großen Mystiker Johannes Tauler, in die Schule gehen. Er schreibt: „Es gibt manche in dieser Zeit, die den Sinnenbildern zu früh Urlaub geben, ehe Wahrheit und Erkenntnis sie darüber hinausgeführt; darum können sie die rechte Wahrheit kaum oder vielleicht niemals mehr begreifen.“ (vgl. DER DOM. Bücher deutscher Mystik, Faksimileausgabe, Frankfurt, 1980, S. 36)
Sichtbare, erlebbare, wirksame Sinnbilder sind die Sakramente und Sakramentalien unserer Kirche. Die Weihe der Heiligen Öle vergegenwärtigt Kirche-Sein in ihrem sakramentalen Handeln zum Heil der Menschen.

+ Bischof Gebhard Fürst

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