Rottenburg, Dom St. Martin
Liebe Schwestern und Brüder!
„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstan-den“ (Lk 24,5b). Dieses Zeugnis legen die Boten am Grab Jesu vor den ratlosen Frauen ab: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist auferstanden“ (Lk 24,1-12). Er, Jesus, der Gekreuzigte ist auferstanden! Die frohen österlichen Botschafter aus dem Lukasevangelium von heute bezeugen dies.
Dieses Zeugnis hören wir in der Osternacht nach einer Karwoche, wie wir sie noch nie begangen haben. Immer neue Missbrauchsfälle sind bekannt geworden. Ein schwarzer Schatten hat sich auf unsere Kirche gelegt. Wie hört sich „Christus ist auferstanden“ heute an? Jetzt, für uns? Und wie hört er sich für die Menschen an, die nicht glauben und in diesen bleiernen Tagen auf uns zeigen, schauen und fragen? Was sagen wir ihnen? Warum glauben wir an Jesus Christus, der nicht tot ist, sondern als der Auferstandene „alle Tage, bis ans Ende der Zeiten“ (Mt 28,20b) bei uns lebt?
In diesen dunklen Tagen können wir Menschen, die uns nach Auskunft fragen, nicht zuerst erklären, was wir mit Auferstehung Christi meinen, wie wir sie ver-stehen und wovon wir im Glauben überzeugt sind. Wir verkünden die Auferste-hungsbotschaft glaubwürdig, wo wir unseren Osterglauben durch unser Handeln als Christen, als Kirche, als Volk Gottes sichtbar und erfahrbar bezeugen. Unser Osterglaube bewährt sich und überzeugt heute vor allem im Tun!
Aber durch welches Tun bezeugen wir, dass Jesus als Auferstandener mitten un-ter uns lebt und unser Leben und Handeln prägt? Der Apostel Paulus, dem der Auferstandene im umwerfenden Licht vor Damaskus erschienen ist, schreibt der christlichen Gemeinde in Rom, wir haben die Verse in der Lesung gehört, „wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben“ (Röm 6,3-11). Wir sollen als neue Menschen leben - wie ER handeln.
Wer wirklich in der Mitte seiner Existenz die Auferstehung Christi glaubt, der wird durch sein Tun Licht in die Finsternisse der Menschen bringen, so wie Jesus von Nazareth dies getan hat. Er hat Licht in die Finsternisse der Niedrigen gebracht, besonders der am meisten Erniedrigten. Er hat sie gesehen, er hat gefragt: was soll ich dir tun? Er hat ihre Not gehört, gehandelt und sie errettet!
Österliche Menschen – als vom Auferstehungsglauben her lebende Menschen – sehen ganz in Jesu Spur, auf die Niedrigen, auf die am meisten Erniedrigten und Gedemütigten. Wir können nicht wegschauen, wir wollen sehen, hören und hel-fen. Die bis heute in Einsamkeit mit ihren Erlebnissen gelebt haben oder noch leben müssen, wollen wir suchen. Wir wollen entdecken und finden, was verloren ist, solche Menschen, die von ihrem Leid, das ihnen angetan wurde, jahrelang nicht sprechen konnten, weil sie niemanden hatten, der ihnen glaubte. Die deshalb Isolierten und mit ihren traumatischen Erlebnissen Alleingelassenen wollen und dürfen wir nicht mehr allein lassen.
Diese Menschen, die wir bisher überhört und übersehen haben, sie hören, sie sehen, ihnen helfen, ihnen Gerechtigkeit zukommen lassen und wo es geht, zu heilen. Das sind österliche Taten von Christen, die aus dem Glauben an die Auferstehung leben.
Heute ist die Stunde, die Nachfolge des Auferstandenen durch unser eigenes Leben als Kirche, als einzelne Christen zu bezeugen. Ostern tun an den Opfern! Das bezeugt den auferstandenen Christus.
Das Aufstehen für das Leben, ein Schwerpunkt in der Pastoral unserer Diözese, hat eine neue, bis dato nicht sichtbare Dimension erhalten. Wir hatten bisher ei-nen blinden Fleck. Uns wurden schmerzhaft die Augen geöffnet und sie sind uns aufgegangen! Aufstehen für das Leben von Menschen, die uns in diesen Tagen als Opfer vor Augen treten, das ist unsere österliche Tat!
Wenn wir einen Sinn finden können in der schweren Heimsuchung, die über unsere Kirche gekommen ist, dann den, dass wir als österliche Kirche, als österliche Menschen, noch nachdrücklicher Aufstehen für das Leben, für das unversehrte Leben der Kinder, für die Heilung verletzter Seelen, für die Hinwendung zu denen, die wir bisher übersehen haben.
Wenn wir einen Sinn finden können in dieser schweren Heimsuchung, dann den, dass wir alle uns um eine noch größere Aufmerksamkeit gegenüber missbräuchlichem Verhalten bemühen und keinesfalls mehr wegschauen, nicht mehr schweigen und verschweigen.
Wenn wir einen Sinn finden können in dieser schweren Heimsuchung, die über unsere Kirche gekommen ist, dann den, dass wir eine neue christliche Kultur der Achtsamkeit in unserer Kirche pflegen und in unserer Gesellschaft entwickeln helfen.
Zum Abschluss des Bußaktes bei Chrisammesse, bei dem viele Christen aus der ganzen Diözese hier im Dom gemeinsam mit mehr als 150 Priestern der Miss-brauchten gedachten, habe ich gebetet:
„Gott unser Vater, Jesus hat gezeigt:
wie groß die Liebe Gottes zu uns Menschen ist.
Er ist den Schwachen und Hilflosen nachgegangen.
Er ist für die eingestanden, denen Unrecht geschehen ist.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Dieser Jesus, der deshalb gekreuzigt wurde, dieser Jesus ist auferstanden. Diesen Jesus hat Gott vor aller Augen bestätigt als den, der uns zeigt, wie Gott zu uns Menschen ist. Weil ER auferstanden ist, wissen wir wie Gott uns Menschen haben will: nämlich als liebende, uns besonders an die hingebende Menschen, die Heilung ihrer verletzten Seelen suchen, deren Leben neu erstehen soll.
Und das Gebet geht weiter: „Seinem Beispiel – dem Beispiel Jesu Christi - wol-len wir folgen und Anwalt sein für diejenigen, die verletzt und an den Rand ge-drängt wurden. Wir wollen unsere Blicke nicht verschließen und aufmerksam und achtsam leben.“ Für das im Gebet Ausgesprochene steht das Kreuz, von dem wir wissen, dass es der Auferstandene ist, der an ihm hängt. Der lebendige Christus ist bei uns ist alle Tage. Mit seiner Kraft können wir als österliche Menschen, als österliche Kirche Zeugnis geben im Leben und Handeln.
Amen.