Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum 150jährigen Jubiläum des Kunstvereins der Diözese 2002

Rottenburg

Schrifttext: Röm 5,12-15; Mt 10,26-33

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Evangelium spricht kaum von Kunst und Kultur, im Gegenteil: Jesus verweist auf die Blumen am Straßenrand, die er schöner findet als Salomos kunstvolle Kleidung. Und als seine Jünger ganz beeindruckt sind von der Architektur des Tempels, hat er dessen Zerstörung vor Augen.

Andererseits: Er selbst ist, denken wir nur an seine Gleichnisse, einer der größten Wortkünstler in der Geschichte der Menschen. Seine Erzählungen gehören auch mit zum reichen Schatz unserer Kultur, die weitergegeben, weitererzählt wird und so in unsere Gegenwart gelangt. Aber Jesus verstand sich sicher nicht als Künstler, es lag ihm fern, sich ausdrücklich der Kunst zu widmen. Das Erzählen ergab sich eher wie von selbst, so nebenher. Alles wurde bei ihm bestimmt von der einen Leidenschaft für das kommende Reich Gottes, und Gottes Vorliebe für das Kleine und Schwache fesselte ihn so sehr, dass es für ihn zum Lebensinhalt wurde. Darin besteht für ihn Wahrheit und Schönheit.

In diesem weiten und tiefen Sinn des Wortes war Jesus sicher der Lebens-Künstler Gottes, der Mensch, der für uns alle vorlebte, wie nach Gottes Willen die Kunst des Liebens, die Kunst des Lebens gelingen kann.

Ein Künstler im engeren Sinne aber ist Jesus nicht gewesen, und über eine lange Zeit hat sich die Kirche in seiner Nachfolge auch schwer getan, Kunst mit ihren Freiräumen zu akzeptieren oder gar in einen fruchtbaren Dialog mit ihr einzutreten. Dabei bietet gerade das heutige Evangelium Anknüpfungspunkte für dieses Gespräch zwischen Kunst und Kirche. Da ist zunächst der vertrauensvoll gelassene Aufruf Jesu gleich zu Beginn: ‚Fürchtet euch nicht vor den Menschen!‘ Jesus sendet seine Jünger nicht nur in die Welt, er nimmt ihnen auch ausdrücklich jede Berührungsangst, ermuntert sie, die Sache der Menschen zu ihrer eigenen zu machen, nicht zu fremdeln oder sich gar abzugrenzen. Der Menschwerdung Gottes entspricht an dieser Stelle der ausdrückliche Auftrag Jesu, den Weg seiner Nachfolge ohne Berührungsängste zu gestalten, als Mensch unter Menschen, und, so könnte man heute sagen, als Mensch mit allen Ausdrucksmöglichkeiten, die dem Menschen zur Verfügung stehen.

Und Jesus gibt sogleich die theologische Begründung für diesen Auftrag, die Grundlage für jeden Dialog zwischen Kunst und Kirche, in der Übersetzung des Theologen und Dichters Fridolin Stier: ‚Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt, und nichts verborgen, was nicht kund werden soll. Was ich euch im Finstern sage, das sprecht im Licht, und was ihr ins Ohr gesagt hört, das kündet von den Dächern.‘

Liebe Schwestern und Brüder, haben Sie es gehört? Gleich zweimal verwendet Jesus an dieser Stelle das Wort ‚künden‘, das uns schon rein etymologisch auf den Bereich der Kunst verweist. Das verbindet Kunst und Kirche im Tiefsten: Beide ringen darum, mit ihren jeweiligen Möglichkeiten den Menschen Wahrheit zu vermitteln. Mögen die Wege auch noch so verschieden sein, so sind beide doch bemüht, dem Menschen die Wahrheit zuzumuten, die ihm Leben ermöglicht. Kunst und Kirche künden dem Menschen vom Leben in allen seinen Dimensionen, in seiner Tiefe, der Wahrheit des Lebens auf den Grund zu gehen.

Der Unterschied liegt allein darin, dass biblische Rede und nach ihr Theologie und Kirche noch einen entscheidenden Schritt weitergehen und den Grund dafür offenlegen, weshalb Hoffnung keine bloße Illusion, weshalb der Glaube in den Menschen nicht irregeht, weil er im Glauben an Gott gründet. Biblische Theologie und kirchliches Zeugnis werden glaubwürdig in dem Masse, in denen es ihnen gelingt, diesen Grund der Hoffnung als Heil und Leben der Menschen zu verkündigen. Der Grund der Hoffnung ist – eine Person, ein Mensch, der lebt, der predigt und erzählt, ein Mensch, der handelt. Jesus, der Mensch aus Nazareth, er ist für Matthäus der Grund, überhaupt Frohe Botschaft zu erzählen.

Der Dialog zwischen Kunst und Kirche gewinnt hier eine enorme Tiefe und letzte Qualität. Theologie und Kirche werden an ihre eigene Sache erinnert, sie werden zurückgeworfen auf ihr zentrales Thema, was vielleicht in der alltäglichen Geschäfterei aus dem Blick zu geraten droht. Wenn sie sich aber erinnern lassen und ihr Thema offen und beherzt aussagen, gewinnen auch die aufgeworfenen Fragen und Anstösse der Kunst eine neue Dimension.

Liebe Schwestern und Brüder, wir sind heute aus festlichem Anlass versammelt, denn am 23. Juni 1852, auf den Tag genau vor 150 Jahren, wurde in Geislingen/Steige auf Initiative des Dorfpfarrers Dr. Franz Joseph Schwarz der ‚Rottenburger Diözesan-Verein für christliche Kunst‘ gegründet. Zweck des Vereins war die Belehrung über die verschiedenen Zweige der christlichen Kunst, die Erforschung verschiedener Kunstwerke, die Sorge für deren Erhaltung und das Bestreben, dass ‚neue Kunstwerke im christlichen Geist und Style geschaffen werden.‘ Wenn sich in den vergangenen 150 Jahren auch programmatische Weiterentwicklungen ergeben haben, so zeigt doch ein kurzer Abschnitt aus der Satzung von 1994 den nach wie vor erhalten gebliebenen Grundimpetus: ‚Der Verein hat die Aufgabe, das Verständnis für alte und neue Kunst zu fördern, sie wissenschaftlich zu erforschen und darzustellen, sich für zeitgenössische Kunst einzusetzen und die Begegnung zwischen Kirche und Künstlern zu pflegen.‘

Liebe Schwestern und Brüder, den tiefsten und eigentlichen Grund für die Existenz des Kunstvereins haben wir im heutigen Evangelium gehört. Ja mehr noch: Jesus selbst fordert uns auf, im Dialog mit Welt und Menschen Zeitgenossenschaft zu suchen, zu gestalten und zu pflegen: ‚Was ihr ins Ohr gesagt hört, das kündet von den Dächern.‘

Lassen Sie uns immer wieder nach angemessenen und zeitgemäßen Möglichkeiten suchen, die Frohbotschaft vom Reich Gottes in unsere Zeit, in die Gesellschaft hinein zu sagen, zu künden von der Hoffnung, die uns erfüllt. Und lassen Sie uns immer wieder das Gespräch mit der Kunst suchen, der Begegnung mit den Künstlern nicht ausweichen, sondern sie suchen und uns von ihren Fragen und Kund-Gaben herausfordern und bereichern lassen.

Nicht zuletzt der Kunstverein erhält uns allen eine anders unwiederbringliche Gelegenheit, dass auch die Kirche in diesem Kontext präsent werden kann. So entstehen immer wieder fruchtbare Möglichkeiten zwischen und - quasi auf gleicher Augenhöhe- als Gesprächs- und Kooperationspartner zusammenwirken.

Dann kann sich immer wieder das ereignen, was als Zusage im heutigen Evangelium gegeben wurde: ‚Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt, und nichts verborgen, was nicht kund werden soll.‘

Amen.

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