Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum „Aschermittwoch der Künstler“ 2008

Stuttgart Hohenheim

Schrifttext: 2 Kor 5,20 – 6,2; Mt 6,1-6.16-18

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Künstlerinnen und Künstler,

„Im Netz der westlichen Kultur zappelt und zuckt ein bilderloses, von allen seinen Imaginationen gereinigtes und seinem Triebschicksal stumm ergebenes Subjekt, das verzweifelt die Wirklichkeit nach Sinn abtastet“.

Mit diesen Worten beschreibt ein Kulturkritiker den Zustand der gegenwärtigen Kultur. Es geht ihm um die Beschreibung unserer Welt, die bei allem Aufwand immer ratloser, sinnloser, haltloser und irgendwie auch unglücklicher wird.

Der Beginn des Zitates, nach dem der heutige Mensch als ‚bilderloses, von allen seinen Imaginationen gereinigtes und seinem Triebschicksal stumm ergebenes Subjekt’ vorgestellt wird, ist eindrucksvoll. Ein kritisches Porträt gegenwärtiger Kultur, an das ich am Aschermittwoch anknüpfen möchte. Der Aschermittwoch möchte ja, dass Kunst und Kirche sich begegnen. Und Kunst und Kirche geht diese kritische Kultur-Diagnose je auf ihre Weise an. Ich möchte dem etwas nachgehen.

In einer gewissen Analogie zu einem gefühlten Gottesverlust in unseren Tagen verspüren immer mehr Menschen auch ein eklatantes Sinndefizit in ihrem Leben. Der Ersatz von Sinn durch Spaß führt offenbar nicht zur versprochenen und erwarteten Befreiung. Vielmehr entsteht eher ein immer schneller rotierendes Karussell seichter Vergnügungen – die aber keineswegs Sinn, Erfüllung und wirkliche Verankerung im eigenen Leben hervorbringen.

Hier sehe ich zentrale Aufgaben von Kunst und Kirche, von Theologie und Kultur für unsere Gesellschaft.

An einem wesentlichen Punkt sind Kunst und Kirche im Innersten miteinander verbunden: beide wissen, Menschsein beginnt und endet, wo Menschsein an den Raum des Heiligen grenzt, wo Menschsein eine Ahnung des Unverfügbaren gewinnt, auf dem es gründet und das ihm Halt, Orientierung und Tiefe gibt. Kunst und Kirche sind je auf ihre Weise davon tangiert. Lassen Sie sich davon herausfordern.

Im Blick auf Kirche schreibt der englische Schriftsteller Chesterton: „Nur die Kirche kann den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahren, ein Kind seiner Zeit zu sein.“ Ich möchte hier ergänzen: Die Künste müssen nicht überall, aber sie können dem Anliegen von Kirche hierbei geschwistergleich zur Seite stehen, weil auch die Künste immer wieder nach Ausdrucksformen suchen, Menschen die Fülle zu erschließen, dass es im eigenen Leben mehr als das bloß Sichtbare, mehr als das Offensichtliche, mehr als das Machbare und Verfügbare gibt.

Der katholische Theologe Romano Guardini prägte in diesem Zusammenhang einen Satz, der mir in eben jenen gleichen Raum zu weisen scheint: Ausdrucksformen, schreibt er, gehen „aus der Sehnsucht nach jenem vollkommenen Dasein hervor, das nicht ist, von dem aber der Mensch trotz aller Enttäuschung meint, es müsse werden.“

Können sich in dieser Sehnsucht nach jenem vollkommenen Dasein nicht Kunst und Kirche begegnen? Den Raum dieser Sehnsucht bezeichnen sie jeweils von ihrer Seite her. Hier liegt ein weites Feld, auf dem die Kirche in heilsamer Weise ihre lebensspendende Botschaft für die Menschen unserer Zeit verkünden kann.

Eben in der kritischen Warnung und Mahnung, im konsequenten Abrücken von den unberechenbaren Folgen eines keinerlei Grenzen anerkennenden Fortschritts, öffnet sich eine neue Möglichkeit: Ziel ist nicht die religiöse Verwaltung und Überhöhung von Wissenschaft, Technik, Forschung. Es geht vielmehr um eine ihnen allen vorausliegende Sinnbestimmung.

Am Ende dieser Linie könnten sich Kirche und Kunst in ganz anderer, tief liegender Sinndimension begegnen. Denn zielt auch die heutige Kunst, nicht häufig in ihrem Wollen auf jenes andere, vielleicht Ganz Andere, das auf ihre Weise auch die Kirche umtreibt? Lebt daraus nicht auch die Kunst? Gewinnt sie nicht hieraus ihre Kraft? Will sie darin nicht Menschen erreichen und bewegen? So entstehen Möglichkeiten und Erfahrungsräume für Dimensionen wirklichen Lebenssinnes.

Um mit Ernst Bloch zu fragen: Entseht so „in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

So können Bilder und Kunstwerke für uns zur heilsamen Unterbrechung werden, zum Sichtbar-Werden-Lassen eines Innen, das durch das Außen geworden ist. Auch in diesem Sinn weisen Sie, liebe Künstlerinnen und Künstler, uns auf den so wichtigen Zwischenraum, auf eine geahnte und angedeutete Transzendenz hin. Sie halten bewusst Möglichkeiten offen und aus. Sie schicken uns damit in eine regelrechte Sehschule. Sie wollen wegführen von eingefahrenen Sehgewohnheiten, von der Bilderflut, von der Blindheit unserer Zeit. Sie wollen das Unsichtbare auf neue, oft unerhörte Weise sichtbar machen.

Hier liegt die Antwort auf jene kritisch bohrende Anfrage des Beginns, dass der Mensch heute im ‚Netz der westlichen Kultur zappelt als ein bilderloses, von allen seinen Imaginationen gereinigtes und seinem Triebschicksal stumm ergebenes Subjekt’.

An diesem Punkt können sich Kirche und Kunst begegnen, sie brauchen einander. Und wichtiger noch: Die Menschen unserer Tage brauchen nötiger denn je die kritischen Anfragen, die bahnbrechenden Anstöße, jene heilsamen Hinweise auf den Mehr-Wert des menschlichen Lebens. Auf das Mehr als bloßes Vegetieren. Auf das Mehr als bloßes Objekt seiner eigenen Triebe zu sein.

Der Geisteswissenschaftler Wolfgang Frühwald umschreibt es einmal prägnant so: ‚Gegen den Geschwindschritt einer sich radikalisierenden Moderne sind heute Religion und Literatur vereint. Sie suchen ... Zeichen der Erinnerung zu setzen, in der Kälte der Abstraktionen. Sie suchen in der Ferne der sich urknallartig vom Menschen entfernenden Dimensionen des Weltinneren die Erinnerung an den konkreten Menschen zu bewahren’ und aus christlicher, kirchlicher Sicht: Sie suchen die Vorstellung des konkreten Menschen, wie er uns im neuen Menschen Jesus Christus begegnet.

Amen.

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