Auf dem Weg von seiner Wohnung in sein Atelier radelt der Stuttgarter Künstler Martin Bruno Schmid seit Jahren an der Kirche St. Fidelis vorüber. Halt gemacht hat er dort immer wieder, um zur Ruhe zu kommen. Zurzeit aber macht er zweimal am Tag in St. Fidelis Station. Der 49-Jährige hat für das Spirituelle Zentrum "station s" Altar, Ambo und Taufstein aus einem 14 Tonnen schweren Stein gestaltet. Die in ihrer Schlichtheit beeindruckenden liturgischen Gegenstände stehen seit Mitte Oktober in der Kirche, die noch umgebaut wird. Am zweiten Advent eröffnet das Spirituelle Zentrum. An diesem 8. Dezember wird auch der von Martin Bruno Schmid gestaltete Altar geweiht.
Noch ist die Kirche fast leer, Altar und Ambo aber haben ihren Platz gefunden – und wirken. Martin Bruno Schmid streicht über die glatte Oberfläche des Altars, ein paar Schritte entfernt hämmern Handwerker an einem Holzrahmen. Er ist erleichtert, begeistert und froh: „Ich wollte kein abgedrehtes Werk, sondern funktionierende liturgische Gegenstände und ein überzeugendes Gesamtkonzept.“ Letzteres hat der Stuttgarter Künstler bereits beim Wettbewerb im Jahr 2018 vorgelegt: Um Altar, Ambo und Taufbecken aus einem großen Stein zu bekommen, hat er diesen dreigeteilt, in Anlehnung an die Dreifaltigkeit. Diese Dreiteilung hat es ihm möglich gemacht, aus der Mitte des Altars heraus Ambo, Taufbecken und zuletzt auch den Tabernakel zu gewinnen. Wer sich die Zeit nimmt und Altar, Ambo und Taufbecken eingehend betrachtet, kann erkennen, wo welcher Gegenstand seinen Platz in dem ursprünglichen Steinquader hatte. „Der Grundgedanke ist, dass alles aus diesem massiven Stück Erde kommt, so wie im Christentum alles seinen Ursprung in Gott hat.“
Wer hinschaut, kann auch die Spuren der handwerklichen Arbeit erkennen. Selbst die Bohrkerne, die notwendig waren, um mit einer Seilsäge den massiven Stein teilen zu können, sind Teil des Kunstwerks. „Hinter dem Werk verbirgt sich absolute handwerkliche Präzisionsarbeit“, sagt Martin Bruno Schmid. Obwohl mit modernster Technik umgesetzt, scheint in allen liturgischen Gegenständen auch die Vergangenheit durch. So stammt der ursprünglich 14 Tonnen schwere Travertin aus einem Steinbruch bei Tivoli in Italien, wo schon Michelangelo den Stein für seine Kunst bezogen hat. „Die Spuren erinnern an die klassischen Steinbildhauer-Techniken, auch wenn wir diese nicht angewandt haben.“
Für Martin Bruno Schmid, der selbst keiner Konfession angehört, waren die vergangenen Monate eine Auseinandersetzung mit den Ritualen der katholischen Kirche, dem Glauben, den eigenen christlichen Wurzeln. „Das war ein spannender Prozess. Ich hoffe, dass Ambo, Altar, Taufbecken und Tabernakel den Menschen Achtung und Respekt vermitteln“, sagt der Künstler, dessen Zugang zu Religion immer über die Kunst, über Musik und Literatur verlaufen ist. „Seit meinem Kunststudium in Stuttgart schaue ich mir in jeder Stadt, in der ich bin, Kirchen an.“ Er lässt die Räume und die Kunstwerke darin auf sich wirken. Ein paar Orte gibt es, die wie Wunder auf ihn wirken, die Giotto-Kapelle in Padua zum Beispiel, die er sich achtmal angeschaut hat, die Cappella Palatina in Palermo und die Sixtinische Kapelle in Rom. „Das sind wunderbare spirituelle Orte, die einen in Erstaunen versetzen.“ Umso mehr hat sich der Stuttgarter über die Wertschätzung gefreut, einen solchen spirituellen Ort in seiner Heimatstadt Stuttgart mitgestalten zu können. „Ich konnte es kaum glauben, als man mich über den ersten Platz beim Kunstwettbewerb informiert hat.“
Es ist das erste Mal, dass Martin Bruno Schmid ein Kunstwerk im Auftrag einer Kirche gestaltet hat. Auch bei den Kunstwerken zuvor ist es ihm immer ein Anliegen gewesen, Tiefen zu ergründen, hinter die Oberfläche zu schauen. „Ich mache nicht aus Selbstzweck Löcher. Für mich ist das Bohren von Löchern auch eine Möglichkeit, hinter die Dinge zu schauen“, sagt er. Überregionale Aufmerksamkeit hat ihm vor zwei Jahren seine Kunst am Bau im Geo- und Umweltzentrum der Universität Tübingen gebracht, wo er fünf tragende Säulen der Länge nach zerschnitten hat und damit die Grenzen der Belastbarkeit massiver Bauwerke sichtbar gemacht hat. Im Moment ist der Stuttgarter dabei, für die Bibliothek der Straßburger Universität das Archiv der ungeschriebenen Bücher als Kunstwerk zu gestalten – mit goldenen Lesebändern, die an der Decke hängen werden.
Auch wenn er sich selbst nicht so bezeichnet, ist Martin Bruno Schmid so etwas wie ein spiritueller Wanderer und gehört damit auch zu den Menschen, die das Spirituelle Zentrum "station s" ansprechen möchte. Es wird am zweiten Adventssonntag, 8. Dezember, mit einem Gottesdienst eröffnen. „Das Spirituelle Zentrum soll Menschen, die das Gefühl haben, sich im Getriebe des Alltags zu verlieren, Wege aufzeigen, wie sie zu ihrer Mitte, zu tiefer Stille und vielleicht auch zu Gott finden können“, sagt die Theologin Kirstin Kruger-Weiß aus dem Leitungsteam von "station s". Angeboten werden von Dezember an traditionelle und altbewährte, aber auch experimentelle spirituelle Wege. Das Angebot reicht von Meditation und Kontemplation, Körperwahrnehmungen, Impulsen aus Literatur, Film, Kunst oder Musik, in der Stille verweilen bis hin zu vielfältigen, verdichteten Formen des Gottesdienstes. Mediationen in der Natur finden sich genauso wie Spirituelles Laufen, Qigong, Straßen-und Filmexerzitien. Im Rahmen des Programms von "station s" wird auch Martin Bruno Schmid seine Arbeit vorstellen. Am Mittwoch, 15. Januar, gibt der Künstler unter dem Titel „Fast nichts“ Einblicke in sein Werk und in die künstlerische Konzeption der liturgischen Ausgestaltung von St. Fidelis. Für Martin Bruno Schmid steht fest: er wird das Spirituelle Zentrum besuchen - nicht nur wegen seiner Kunstwerke.