Geschichte

"Ich will ein Zeichen gegen Rechts setzen"

Ludwig Zimmermann sitzt in seinem Wohnzimmer und schaut nachdenklich in die Kamera.

Regionalhistoriker und Buchautor Ludwig Zimmermann aus Mochenwangen - Foto; DRS/Waggershauser

Regionalhistoriker Ludwig Zimmermann forschte über den Nationalsozialismus im katholischen Oberschwaben und schrieb ein Buch.

Dass die Heimatregion des Rottenburger Bekennerbischofs Joannes Baptista Sproll den Nationalsozialisten gegenüber eher kritisch eingestellt war, davon war auch Ludwig Zimmermann lange überzeugt. Bis er herausfand, dass einflussreiche Nazis aus diesem katholisch geprägten Milieu kamen. Weshalb er sich überhaupt mit dem Thema "Drittes Reich" und dessen Nachwirkungen beschäftigte und wie sich sein Bild vom katholischen Oberschwaben veränderte, erzählt er im Interview zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

Herr Zimmermann, wie kamen Sie dazu, sich mit dem Thema "Nationalsozialismus in Oberschwaben" zu beschäftigen?

Ich bin Ende der 1950-er Jahre daheim in der Familie auf den Euthanasiefall einer Tante gestoßen. Einige Monate später habe ich ein Bild im Tresor meiner Mutter entdeckt, auf dem mein Vater und ein Onkel in SA-Uniform zu sehen waren. Bis dahin war ich der Meinung in einer Familie aufgewachsen zu sein, die kritisch zum "Dritten Reich" stand und das verurteilt hat, was passiert ist. Das hat mich aufgewühlt. Ich habe weitergeforscht und entdeckt, dass eine andere Tante sterilisiert wurde, weil sie auch ein Nervenleiden hatte.

Ihre Nachforschungen gingen ja dann über das familiäre Umfeld hinaus.

Dort, wo ich als Lehrer tätig war, beispielsweise in Schwendi, habe ich recherchiert und auch in den Gemeinde- und vor allem in den Pfarrarchiven geschaut, ob da etwas nachweisbar ist. Die Gemeindearchive waren damals schon sehr "ausgedünnt". Es ließ sich feststellen, dass da nicht nur Protokolle sofort vernichtet worden sind.

War das bei der katholischen Kirche anders? Welche Rolle hat sie denn gerade hier im schwäbischen Oberland gespielt?

Ich bin auf das Thema katholische Kirche gekommen, weil ich eine ganze Reihe von den Pfarrern, die im Widerstand hinter Bischof Sproll gestanden sind, noch kennengelernt habe.

Ganz herausragend war mein Onkel, Pfarrer Josef Zörlein, der als Kaplan in Ellwangen dreimal in Schutzhaft geriet. Dann der Stadtpfarrer und ehemalige Dekan von Leutkirch Karl Kästle, der Jugendkaplan in Ravensburg war und dort einen großen Bischofstag organisiert hatte. Wie bei einer Art Schneeballsystem findet man immer neue Leute, etwa Franz Weiß, den Leiter dieser Offiziers- und Kriegsgeneration des Ersten Weltkrieges. Diese standen meist mutig hinter Bischof Sproll.

War das katholische Oberschwaben also eher resistent gegenüber der Ideologie des Nationalsozialismus?

Die Auffassung, dass es im katholischen Oberland eher noch in Ordnung war, hatte ich bis vor zwei Jahren. Ich war der Meinung, dass es hier durch die Gestalt von Bischof Sproll aus Schweinhausen und der großen Zahl von Priestern, die hinter ihm standen, schon mehr Widerstand und mehr Mut gab, wenn auch der entscheidende Durchbruch nicht möglich war. Sie konnten nicht verhindern, dass Sproll ins Exil musste. Wo solche Pfarrer tätig waren, hat das in den Pfarreien nachgewirkt.

Wodurch hat sich ihr Eindruck verändert?

Vor zwei bis drei Jahren hat sich Zug um Zug herausgestellt, dass auch aus dem katholischen Milieu in Oberschwaben einflussreiche Nazis kamen. Josef Bühler war Stellvertreter von Generalgouverneur Frank im polnischen Generalgouvernement in Krakau und Teilnehmer an der Wannsee-Konferenz vor 80 Jahren. Er stammte aus einer katholischen kinderreichen Familie in Bad Waldsee und sein ältester Bruder war Pfarrer. Oder der Arzt Erich Waizenegger, damals Kreisleiter der NSDAP in Saulgau. Als ich dort von 1952 bis 1958 die katholische Lehreroberschule besuchte, erfuhr man nichts von seiner Vergangenheit. Er ist erst 1963 nach Spanien abgehauen, als ihm das Pflaster zu heiß wurde.

Wer war aus Ihrer Sicht für den Nationalsozialismus besonders empfänglich?

Die von 1900 bis 1915 Geborenen waren Kinder oder junge Leute während des Ersten Weltkriegs. Es folgte eine unsichere Zeit, dann kam 1923 die Inflation. Etwas Schlimmeres konnte es nicht geben. Kaum hatte sich die Wirtschaft etwas erholt, ging es wieder bergab. Zuerst waren König und Kaiser weg, dann scheiterte auch die Demokratie. Diese Generation war am gefährdetsten.

Zum "Dritten Reich" gehörte auch das sogenannte Euthanasieprogramm. Sie hatten es im Zusammenhang mit Ihrer Familie erwähnt. In Oberschwaben gibt es bis heute viele kirchliche Behinderteneinrichtungen und Kliniken für Menschen mit psychischen Krankheiten ...

Ich habe Anfang der 1970-er Jahre bei der Stiftung Liebenau wegen Nachforschungen angefragt und wurde abgewiesen. Beim erneuten Versuch 1990 zeigte sich die Einrichtung offener - vor allem als sie wussten, dass ich betroffene Angehörige hatte. Die Aufarbeitung der systematischen Tötung Behinderter und psychisch Kranker hat aber erst später begonnen.

In Ihrem Buch listen Sie über mehrere Seiten die Namen der Ermordeten auf.

Das Motto meines Buches ist die sogenannte Erinnerungskultur gegen das Vergessen, die Bundespräsident Roman Herzog 1996 ausgerufen hatte.

Damals zogen die Republikaner zum zweiten Mal mit 14 oder 15 Leuten in den Landtag von Baden-Württemberg ein. Als Kommunalpolitiker und CDU-Vorsitzender war ich erschüttert. Man macht sich ja selber Vorwürfe und meint, man hätte versagt. Und da hat Bundespräsident Herzog gesagt, wir müssten endlich den Mut haben, die Verbrechen und die Verbrecher zu nennen, um den Opfern wieder ihre Würde zurückzugeben.

Wollten Sie mit Ihren Erkenntnissen von Verbrechen und Verbrechern von Anfang an ein Buch schreiben?

Das hat sich im Laufe der Zeit erst ergeben. Wissen Sie, für so ein Buch braucht man Mut. Ich war nicht mehr in der Kommunalpolitik und die ersten beiden Bände meiner Lebenserinnerungen zur Kindheit und zur Lehrerausbildung waren sehr erfolgreich. Ich habe dann gesagt: Komm, jetzt packst du’s. Ich habe ja nicht den Anspruch, dass ich hochwissenschaftlich schreibe. Ich wähle ja die Erzählform.

Was wollen Sie bei Ihren Leserinnen und Lesern dadurch erreichen?

Die Leute sollen sich hineinlesen und auch ein bisschen Erlebniseffekt haben. Und ich will natürlich ein Zeichen gegen Rechts setzen. Dieses Buch soll den Leuten auf den Dörfern die Augen öffnen und die Bereitschaft zum Austausch über das Thema wecken. Ich bin froh, dass ich an mehreren Orten in der Region eingeladen bin mein Buch vorzustellen. Da komme ich mit den Leuten ins Gespräch.

In verschiedenen Diskussionen werden immer wieder Vergleiche mit der Zeit des "Dritten Reiches" gezogen. So auch neulich bei einer Kundgebung der Impfskeptiker und Gegner einer Impfpflicht vor der Ravensburger Oberschwabenhalle. Was sagen Sie solchen Leuten?

Wenn ich höre, dass dort Vergleiche mit Konzentrationslagern angeführt wurden, muss ich sagen: Das sind Leute, die kennen die Geschichte nicht. Die wissen nicht, was sie sagen. Und dann gibt es noch welche, die bleiben stehen und klatschen Beifall. Man kann die heutige Demokratie nicht mit den Konzentrationslagern vergleichen. Mein Ziel mit dem Buch ist es ja, dass die Leute sich endlich mit der Geschichte beschäftigen.

Person und Buch

Ludwig Zimmermann, pensionierter Geschichtslehrer, veröffentlichte im dritten Teil seiner Lebenserinnerungen Nachforschungen als Regionalhistoriker zum "Nationalsozialismus in Oberschwaben". Der 83-jährige engagierte sich früher im Kirchengemeinderat in Mochenwangen und für die CDU in der Kommunalpolitik. Geboren in Baustetten bei Laupheim besuchte er von 1952 bis 1958 die Lehreroberschule in Saulgau und anschließend zwei Jahre das Pädagogischen Institut in Weingarten. Als Lehrer wirkte der verheiratete Vater von drei Kindern in Schwendi, Laupheim, Baienfurt und Weingarten.

Ludwig Zimmermann
Das katholische Oberschwaben im Nationalsozialismus
Zwischen Begeisterung, Anpassung und Widerstand

EPPE-Verlag 2021
ISBN 978-3-89089-157-6
Gebundene Ausgabe, 440 Seiten, 30 Euro

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