Dass die Heimatregion des Rottenburger Bekennerbischofs Joannes Baptista Sproll den Nationalsozialisten gegenüber eher kritisch eingestellt war, davon war auch Ludwig Zimmermann lange überzeugt. Bis er herausfand, dass einflussreiche Nazis aus diesem katholisch geprägten Milieu kamen. Weshalb er sich überhaupt mit dem Thema "Drittes Reich" und dessen Nachwirkungen beschäftigte und wie sich sein Bild vom katholischen Oberschwaben veränderte, erzählt er im Interview zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Herr Zimmermann, wie kamen Sie dazu, sich mit dem Thema "Nationalsozialismus in Oberschwaben" zu beschäftigen?
Ich bin Ende der 1950-er Jahre daheim in der Familie auf den Euthanasiefall einer Tante gestoßen. Einige Monate später habe ich ein Bild im Tresor meiner Mutter entdeckt, auf dem mein Vater und ein Onkel in SA-Uniform zu sehen waren. Bis dahin war ich der Meinung in einer Familie aufgewachsen zu sein, die kritisch zum "Dritten Reich" stand und das verurteilt hat, was passiert ist. Das hat mich aufgewühlt. Ich habe weitergeforscht und entdeckt, dass eine andere Tante sterilisiert wurde, weil sie auch ein Nervenleiden hatte.
Ihre Nachforschungen gingen ja dann über das familiäre Umfeld hinaus.
Dort, wo ich als Lehrer tätig war, beispielsweise in Schwendi, habe ich recherchiert und auch in den Gemeinde- und vor allem in den Pfarrarchiven geschaut, ob da etwas nachweisbar ist. Die Gemeindearchive waren damals schon sehr "ausgedünnt". Es ließ sich feststellen, dass da nicht nur Protokolle sofort vernichtet worden sind.
War das bei der katholischen Kirche anders? Welche Rolle hat sie denn gerade hier im schwäbischen Oberland gespielt?
Ich bin auf das Thema katholische Kirche gekommen, weil ich eine ganze Reihe von den Pfarrern, die im Widerstand hinter Bischof Sproll gestanden sind, noch kennengelernt habe.
Ganz herausragend war mein Onkel, Pfarrer Josef Zörlein, der als Kaplan in Ellwangen dreimal in Schutzhaft geriet. Dann der Stadtpfarrer und ehemalige Dekan von Leutkirch Karl Kästle, der Jugendkaplan in Ravensburg war und dort einen großen Bischofstag organisiert hatte. Wie bei einer Art Schneeballsystem findet man immer neue Leute, etwa Franz Weiß, den Leiter dieser Offiziers- und Kriegsgeneration des Ersten Weltkrieges. Diese standen meist mutig hinter Bischof Sproll.
War das katholische Oberschwaben also eher resistent gegenüber der Ideologie des Nationalsozialismus?
Die Auffassung, dass es im katholischen Oberland eher noch in Ordnung war, hatte ich bis vor zwei Jahren. Ich war der Meinung, dass es hier durch die Gestalt von Bischof Sproll aus Schweinhausen und der großen Zahl von Priestern, die hinter ihm standen, schon mehr Widerstand und mehr Mut gab, wenn auch der entscheidende Durchbruch nicht möglich war. Sie konnten nicht verhindern, dass Sproll ins Exil musste. Wo solche Pfarrer tätig waren, hat das in den Pfarreien nachgewirkt.
Wodurch hat sich ihr Eindruck verändert?
Vor zwei bis drei Jahren hat sich Zug um Zug herausgestellt, dass auch aus dem katholischen Milieu in Oberschwaben einflussreiche Nazis kamen. Josef Bühler war Stellvertreter von Generalgouverneur Frank im polnischen Generalgouvernement in Krakau und Teilnehmer an der Wannsee-Konferenz vor 80 Jahren. Er stammte aus einer katholischen kinderreichen Familie in Bad Waldsee und sein ältester Bruder war Pfarrer. Oder der Arzt Erich Waizenegger, damals Kreisleiter der NSDAP in Saulgau. Als ich dort von 1952 bis 1958 die katholische Lehreroberschule besuchte, erfuhr man nichts von seiner Vergangenheit. Er ist erst 1963 nach Spanien abgehauen, als ihm das Pflaster zu heiß wurde.