Vortrag Bischof Dr. Gebhard Fürst: „Glaube - Ethik - Unternehmertum“ 2008

Stuttgart, Berufsakademie

Sehr geehrter Herr Direktor Professor Weber, sehr geehrter Herr Professor Sommer, sehr geehrte Studierende, sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berufsakademie, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Eine Razzia bei einem der angesehensten Manager Deutschlands. Hunderte weitere Ermittlungsverfahren, bedeutende Teile der Wirtschaftselite scheinen in eine beispiellose Affäre von Steuerhinterziehung verstrickt zu sein. Fast scheint es so, als wären die tagesaktuellen Ereignisse der vergangenen Woche die so drastische wie bedrückende Grundlage für die Frage zu sein, die ich deutlich an den Beginn meiner Ausführungen stellen möchte: Ist die Wirtschaft dabei, die Ethik völlig zu vergessen? Denn in der Tat ist es erschütternd, welche Reihe an Skandalen sich in der deutschen Wirtschaft in jüngster Zeit ereignet hat.

Es verwundert dabei nicht, dass die Menschen vermuten, hierzulande würden sich einige wenige zu Lasten anderer und vor allem zu Lasten der Allgemeinheit schadlos halten. So aber wird das Vertrauen in eine gesamte Gesellschaftsordnung zerstört. Viele von Ihnen werden in Unternehmen, Betrieben etc. arbeiten, sie wollen dort nicht ausgenutzt oder gar ausgebeutet werden. Wir nehmen aber einen massiven Werteverlust wahr und sehen herausragende Personen, die ihre Verantwortung vernachlässigen und in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert sind.

Dem aber müssen wir massiv entgegenwirken. Denn letztlich leben wir in einer Gesellschaft und brauchen deren Zusammenhalt. Die Familien erziehen junge Menschen, die kommen in den Beruf und einige von ihnen schreiten in ihrer Karriere so weit voran, dass sie in hohen Positionen landen. Alles hängt miteinander zusammen, und darum dürfen wir uns nicht aus der gemeinsamen Verantwortung stehlen. Das gilt für alle, für Familien, Schulen und Firmen, und darum begrüße ich diese Veranstaltungsreihe hier am Beruflichen Schulzentrum und besonders auch diesen Abend.

Wir müssen öffentlich auf das, was geschieht und uns alle betrifft, schauen und Maßstäbe, Standards definieren. Über geeignete konkrete Maßnahmen müssen dann Prinzipien einer guten Führung durch gemeinsame Wertekultur in Wirtschaft und Unternehmen entwickelt, ausgestaltet und vor allem gelebt werden. Wir brauchen nicht einfach materielle Werte. Wir brauchen Werte, die uns im Handeln leiten: nicht betrügen, ehrlich sein, verlässlich. Wenn Menschen in den Unternehmen danach handeln, können sie wirtschaftlich langfristig erfolgreicher handeln und sich nachhaltiger entwickeln als solche, die sich nur über Erfolge des nächsten Tages freuen und Wertschöpfung mit ökonomischer Gewinnsteigerung verwechseln.

Aus der geschilderten Verantwortung dürfen wir uns alle, und es dürfen sich vor allem auch die führenden Kräfte unserer Gesellschaft nicht wegschleichen; ansonsten kommt es zu einer massiven Erosion des Vertrauens zwischen Gesellschaft und Wirtschaft, wie wir es gerade erleben. Misstrauen untereinander aber führt leicht zu einer gnadenlosen Missachtung, Verdrängung und Vernichtung des Schwächeren.

Die Globalisierung, die in den letzten 15 Jahren mit großen Versprechungen begann und die zunehmend immer mehr Bereiche unserer Gesellschaft und Wirtschaft durchdrungen hat, prägt zwischenzeitlich fast unser ganzes Leben. Die Globalisierung war uns dabei schmackhaft gemacht worden, weil sie den allgemeinen Wohlstand erhöhen und die Zahl der Arbeitsplätze steigern würde.

Heute sehen wir klarer, dass sich dies nur zum Teil bewahrheitet hat. Vielmehr sehen sich viele Betriebe und gerade auch die großen, international agierenden Konzerne unter einem enormen Wettbewerbsdruck. Klar zeigt sich, dass ein Wirtschaftssystem an sich keinen Regelmechanismen unterworfen ist, dass es neben einem Maßstab der Gewinnmaximierung und der ökonomischen Optimierung zunächst keine ethische Grundorientierung für die Wirtschaft gibt. Von sich aus ist die Wirtschaft scheinbar ethisch neut-ral.

In der Globalisierung gilt das Recht des Stärkeren, des Schnelleren, Rücksichtslosigkeit zahlt sich aus. Verantwortliche Kategorien für eine moralisch-ethische Orientierung sucht man vergebens. Das Handeln in Wirtschaft, Industrie und Unternehmen bedarf jedoch eines solchen ‚moralischen Kompasses’. Ich bin davon überzeugt, dass ein an Werten orientiertes Handeln einen wirtschaftlichen Vorteil bringt. Konkret wissen wir, dass der Siemenskonzern durch die Korruptionsfälle nicht nur einen Reputationsschaden, sondern auch einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden in Millionenhöhe erlitten hat. Auch für die Deutsche Post AG wird ähnliches gelten. Wenn man heute einen Finanzvorstand eines Dax-Unternehmens fragt, worin sein höchstes Risiko liegt, sagt er nicht wie vor zehn Jahren Produkthaftung, sondern es ist das Reputationsrisiko.

Vor dieser Folie und auf dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse der letzten Woche möchte ich Ihnen im folgenden einige Gedanken zum Thema ‚Markt und Moral’ vortragen. Ich werde hierbei zunächst einige grundsätzliche Überlegungen entfalten und danach konkret vorstellen, was denn die Katholische Kirche in der Diözese Rottenburg-Stuttgart konkret im Bereich von Wirtschaft und Arbeitswelt tut.

Gestatten Sie mir hier den Hinweis, dass ich hier als Bischof durchaus – auch! in gewisser Weise als Unternehmer sprechen kann: Die Diözese Rottenburg-Stuttgart mit 2 Millionen Katholiken in Gemeinden und Seelsorgeeinheiten unterhält unzählige Schulen, Kindergärten, soziale Einrichtungen, Kranken- und Altenpflegeeinrichtungen. Als Bischof leite ich in diesem Sinn ein Großunternehmen von ca. 45.000 Mitarbeitern, die vor allem im sogenannten ‚non-profit-Bereich’ tätig sind. Ich erlebe täglich die Spannungen zwischen Management und Seelsorge. Meine Aufgabe ist es, das auszuhalten und positiv zu gestalten. Eine der wichtigsten Herausforderungen ist dabei, trotz knapper werdender Mittel die vorhandenen Arbeitsplätze zu halten.

Denn Arbeit ist mehr als ein Job – sie ermöglicht Gestal-tungshoheit über das eigene Leben, sie dient der Verwirklichung des Menschen, Arbeit ist Teil seiner Würde. Wenn ich also mit Ihnen über die Frage der Vereinbarkeit zwischen Wirtschaft und Ethik, zwischen Ökonomie und christlicher Moral spreche, weiß ich durchaus, wovon ich spreche.

Es wäre grundverkehrt, die Welt der Wirtschaft und die Welt der Kirche als Sonderwelten in der Gesellschaft so gegeneinander abzugrenzen, als ob sie sich nichts zu sagen hätten oder nichts von einander wissen müssten. Kirchliche Einrichtungen sind gehalten, wirtschaftlich zu handeln. Hier kann die Kirche viel von der Wirtschaft und ihren Bedingungen lernen. Anderseits hat die Kirche vor allem ihre lange Tradition, Erfahrung und ein großes Bild vom Menschen einzubringen: Die Bibel ist voll von Texten, in denen es um Arbeit, gerechten Lohn, auch um Produktionssteigerung geht: Denken Sie an das Gleichnis von den Talenten. Die Kirchengeschichte weist vielfältiges Wirtschaftsleben aus, denken wir nur an die eindrucksvollen Wirtschaftsleistungen von Klöstern bis zu heutigen Engagements der Kirchen. Die Kirche ist weltweit der größte „global prayer“ und „global player“.

Der entscheidende Hintergrund für die Begegnung von Wirtschaft und Kirche liegt jedoch im christlichen Bild vom Menschen als Person: Ein Mensch hat daher Würde als Person, er ist keine Sache, kein Ding. Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild und steht damit auch in gewisser Nähe zu Gottes schöpferischem Handeln. Nach christlich-kirchlichem Bild ist der Mensch also nicht jemand, der sich versorgen lässt und nur passiv verhält. Als Gottes Ebenbild sind wir herausgefordert, uns schöpferisch-kreativ einzubringen und die Welt verantwortlich zu gestalten: Hier liegt die Grundlage für unternehmerisches Handeln.
Es wäre daher ein Kurzschluss, täte man so, als könne das Christentum nichts Nützliches zum Thema Wirtschaft beitragen. In meinen Augen sind Christentum und Kirche vor allem hier herausgefordert, wenn es um die Rahmenbedingungen geht, unter denen Wirtschaft und Unternehmentum überhaupt handeln sollen und gut handeln können. Biblische Einsichten und moralische Grundintentionen zielen ganz wesentlich auf einen umfassenden Begriff von Gerechtigkeit.

Mir scheint durchaus, dass solch ein umfassender Begriff die Grundlage für Überlegungen sein kann, eine leitende Idee von sozialer Gerechtigkeit unter den Bedingungen von Wirtschaft und Gesellschaft in der Moderne zu entwickeln; ich denke da an Modelle für gerechten Lohn oder ein gerechtes Zusammenleben am Arbeitsplatz.

Eine solch ‚regulative Idee’ (Kant), eine Idee, die das Handeln, das Wirtschaften leitet, ist dabei so wie ein Leuchtturm, der eine klare Perspektive und Zielgröße zeigt, mit Hilfe der konkretes Handeln auszurichten und zu gestalten ist. Wirtschaft, Industrie und Unternehmen brauchen tragfähige Grundorientierungen, die ihnen als Kompass in der Beantwortung der Fragen der Zeit dienen.

Zwar gehören zum konkreten Vollzug und der Fähigkeit zur Entscheidung auch das Abwägen, der Pragmatismus und die Fähigkeit zum verantwortungsvollen Kompromiss. Dies ist aber kein Gegensatz oder eine Alternative zur unverzichtbaren Grundorientierung. Anders als oft unterstellt birgt das christliche Menschenbild ein erhebliches Kritikpotenzial, denn die christliche Botschaft bewahrt den Menschen davor, sich selbst oder eine bestimmte Ideologie für absolut zu erklären. Im Blick auf den unverwechselbaren Wert und die Würde eines jeden Menschen schützt es diesen vor jeder Form absoluter Übergriffe.

Ein Mensch ist mehr wert als das, was er ‚bringt’, mehr als das, was er ‚leistet’. Christliche Grundorientierung ist die programmatische Alternative gegenüber Formen von Ideologie. Das bedeutet konkret: Christen glauben z.B. nicht an die Utopie eines irdischen Paradieses, das Staat und Gesellschaft produzieren kann. Gleiches gilt auch für Wirtschaft und Unternehmen: Kein noch so großer Umsatz, keine noch so hohe Rendite ermöglichen perfektes Leben, keine ökonomische Größe garantiert Lebensglück. Christen glauben nicht an die Utopie des perfekten, endgültig erlösten menschlichen Lebens auf Erden. Das christliche Menschenbild setzt einen kritischen Stachel gegen den Glauben, man könne das Paradies auf Erden oder den perfekten, erlösten Menschen schaffen. Das christliche Menschenbild liefert keine rezepthaften Lösungen für konkrete Probleme. Es fungiert aber zumindest als Kriterium und Korrektiv, von dem her nicht akzeptable Handlungsoptionen ausgeschlossen werden können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Handwerk, Industrie und Wirtschaft sind auf Grundorientierungen, auf Ziel- und Wertevorstellungen angewiesen, die sie selbst nicht produzieren können, die sie aber zum eigenen Funktionieren unbedingt brauchen.

Der Verfassungsrechtler Ernst Wolfgang Böckenförde hat unmissverständlich klar gemacht, dass unsere Gesellschaft auf Vorgaben beruht, die sie sich nicht selbst gegeben hat. Er konkretisierte dies gerade mit dem Hinweis, dass die Wirtschaft auf auf Ziel- und Wertevorstellungen angewiesen sei, die sie selbst nicht produzieren könne, die sie aber zur eigenen Funktion brauche: ich konkretisiere dies mit den Stichworten soziale Gerechtigkeit und unbedingter Achtung der Würde eines jeden Menschen.

Unter dieser Perspektive können die ethischen Grundlagen von Bibel und Christentum durchaus Bedeutung entfalten. Sowohl bei den ersten Christen als auch in Wirtschaft und Unternehmertum heute können Solidarität und Gerechtigkeit als leitende Ideen fungieren, die unsere Überlegungen zur Konkretisierung stimulieren und lenken. Wie die konkreten Wege aussehen, Gerechtigkeit umzusetzen, welche Mittel zweckmäßig sind, das Ziel solidarischer Gerechtigkeit, eines fairen, gerechten Miteinanders unter den komplexen Bedingungen zu erreichen, bleibt zwar noch offen und ist jeweils auszuhandeln. Aber die grundsätzliche Ausrichtung ist deutlich vorgegeben.

Ich gebe ein Beispiel: Die modernen Gesellschaften neigen dazu, die Bindungen und Selbstbindungen, die Beziehungen ihrer Mitglieder zu lockern oder mit dem Hinweis auf Individualität und Freiheit aufzulösen. Eine Gesellschaft aber löst sich ohne die sozialen Selbstverpflichtungen ihrer Mitglieder rasch auf. Dem Wirtschaftsprozess als Ganzem tut die Solidarität, das Zueinanderstehen der daran Beteiligten aber gut.

Das Solidaritätsprinzip – eine wichtige Säule der kirchlichen Soziallehre – ist nicht nach dem individuellen Nutzen zu bilanzieren. Die Prinzipien der Solidarität und auch das der Subsidiarität (d.h. vereinfacht ausgedrückt das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe des Schwächeren durch den, dessen Kräfte mehr vermögen), diese Prinzipien entspringen beide der dritten, entscheidenden Säule: dem Prinzip der Personalität, dem gemäß Freiheit und Würde der Person schlechthin grundlegend sind. Als Person ist der Mensch einzigartig, individuell, zugleich aber konstitutiv auf gesellschaftliches Miteinander angelegt. Wenn Solidarität z. B. einseitig an anonyme, unpersönliche Sozialsys-teme delegiert wird, führt dies auf die Dauer zu einer Entsolidarisierung, es führt zu einer Versorgungs- und Selbstbedienungsmentalität.

Das Subsidiaritätsprinzip und das Solidaritätsprinzip ergänzen sich. Beide dienen der Entfaltung der menschlichen Person. Das Subsidiaritätsprinzip fordert den Vorrang der kleineren Einheiten vor dem Zugriff der größeren. Solidarität dagegen zielt auf die Unterstützung dieser kleineren Einheiten, wenn sie ihre Aufgaben nicht selbst bewältigen können. Zur Stärkung des Subsidiaritätsprinzips gehört die Förderung von Eigenverantwortung, von Unternehmergeist und Risikobereitschaft.

Es ist selbstverständlich, dass Wirtschaft Gewinne erzielen muss. Doch hat die Wirtschaft auch eine soziale Verantwortung, aus der sie nicht entlassen werden darf. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist ebenfalls eine wichtige Markierung der katholischen Soziallehre. So gesehen sind Steuern z.B. Ausdruck dieser Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Eine der großen Herausforderungen an Staat und Unternehmen ist es, z.B. unter den Bedingungen der Internationalisierung von Wirtschaftsprozessen dafür Sorge zu tragen, dass die Wirtschaft nicht einerseits die durch das Gemeinwesen bereit gestellte Infrastruktur unseres Landes nutzt, ohne ihren Beitrag zu leisten, dass diese zukunftsfähig weiterentwickelt werden kann. Ich bin als weiteres Beispiel hierzu froh und dankbar, dass es mit dem BDI-Präsidenten Dieter Hundt ein führender Unternehmer war, der bei einem Vortrag in unserer Diözese die explodierenden und völlig inakzeptablen Managergehälter mancher Firmen deutlich kritisierte. Dies sei eine Entwicklung, die in unserer Zeit nicht nur verantwortungslos und fahrlässig sei, sondern die vor allem den Ruf der gesamten deutschen Wirtschaft erheblich schädige.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

in einem sich rasant ändernden Markt ist der Erfolg von Unternehmen immer mehr vor allem auch von Innovationskraft, Eigenverantwortung der Führungskräfte und aller Mitarbeiter abhängig.

Mit den Menschen aber kehrt auch die Frage nach ethischen Werten auf die Bühne wirtschaftlicher Diskurse zurück. Der Stellenwert jedoch, den Eigenverantwortung und Solidarität, Gerechtigkeit und Gemeinsinn, Ehrfurcht, Respekt und ein Klima des Vertrauens haben, ist auch und besonders abhängig vom Bild, das die Menschen von sich und ihren Mitmeschen in sich tragen: Ob Menschen sich als autark definieren oder als Selbst aus Begegnung mit dem Du, als geschöpfliche Existenz oder als self made; ob die Menschen von Angst oder Hoffnung bestimmt sind, all das hat Konsequenzen. Und auch wonach sich Menschen sehnen, wo sie ihr Glück und ihr Heil suchen, welchen Sinn sie in ihrem Leben finden oder nicht finden, bestimmt maßgeblich das Leben und den Geist einer Gesellschaft, eines Staates und eben auch den Geist eines Unternehmens.

Menschen haben bei ihrem Handeln immer Bilder ihrer Mitmenschen und von sich selbst im Kopf. Und wehe uns, wenn diese Bilder rücksichtslose E-goisten zeigen. Denn das Bild, das Menschen von sich selbst haben, bestimmt die Bereitschaft, ihr Leben und Handeln in die eigene Hand zu nehmen, sich für andere solidarisch einzusetzen, Anteil zu nehmen am Schicksal der Mitmenschen, Gesellschaft mitzugestalten. Das Bild vom Menschen und die daraus sich ableitenden Werte und Handlungen entscheiden über den Respekt vor der unantastbaren Würde und Unverfügbarkeit eines jeden Mitmenschen.

Die Zuversicht, mit der man leben und auch in Industrie und Unternehmen verantwortlich in unserer Gesellschaft handeln kann, entsteht nicht aus dem Wissen der mit Sicherheit kommenden Schwierigkeiten oder auch persönlichen wie gesellschaftlichen Notlagen. Die Zuversicht stammt vielmehr aus dem Vertrauen, trotz aller Unvollkommenheit in unserem Zusammenleben Momente des Glücks, des Gelingens und der Zufriedenheit erleben zu können. Der Mensch ist ein wertebezogenes Wesen, ethische Reflexion und moralisches Handeln gehören zu den Grundkonstanten menschlicher Existenz, ohne die eine Entfaltung seiner Fähigkeiten nicht möglich ist. Umgekehrt liegen eben darum vorhandene Potentiale der Mitarbeiter oft genug brach, weil die Unternehmens- und Personalführung nicht den notwendigen Raum schaffen, in dem diese sich entwickeln können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hatte damit begonnen, dass ich als Bischof hier ja durchaus auch mit eigenem, nicht unerheblichen unternehmerischem Hintergrund spreche. Nun komme ich zum Schluss und möchte noch an einigen konkreten Beispielen verdeutlichen, inwiefern wir als Kirche nicht nur über das Thema ‚Wirtschaft und Ethik’ reden, sondern hier auch ganz konkrete Maßnahmen und Schritte zu gehen versuchen. Gerade als Kirche sind wir hier gefordert, zeichenhaft und wirksam zu handeln.

Denn wir müssen hier eine Vorbildfunktion einnehmen. Das erhöht die Glaubwürdigkeit unserer Argumente, das sind wir den Gläubigen schuldig. Denn nicht an unseren Worten, an unseren Taten werden wir gemessen. Was tut die Diözese Rottenburg-Stuttgart im einzelnen?

1. Das Bischöfliche Ordinariat in Rottenburg, immerhin eine Verwaltung mit über 350 Angestellten, wurde durch die Hertiestiftung als ‚familienfreundliches Unternehmen’ zertifiziert. Hierzu gehören so konkrete Maßnahmen wie flexible Arbeitszeiten und -orte, die Einrichtung von Heimarbeitsplätzen, die Ermöglichung von Familienzeiten, die Wiedereingliederung nach Elternzeiten usw.

2. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart beschäftigt zehn Betriebsseelsorger. Diese suchen Kontakte zu den Menschen in den Betrieben, Verwaltungen, Einrichtungen. Sie arbeiten immer wieder befristet als angelernte Arbeiter in einem Betrieb mit, sind wichtige Ansprechpartner für Betriebs- und Personalräte, beraten in menschlichen und betrieblichen Konflikten, ergreifen Partei für die Beschäftigten bei Betriebsschließungen, Entlassungen und sozialen Auseinandersetzungen, kümmern sich um Erwerbslose. Ebenso sind sie Partner der verantwortlichen Führungskräfte.

3. Die katholischen Verbände, insbesondere die katholische Arbeitnehmerschaft, das Kolpingwerk und der Bund der Katholischen Unternehmer kümmern sich in vielfältiger Weise um die Belange der Arbeitswelt und hier besonders auch um erwerbslose Menschen.

4. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart engagieren sich über 40 Initiativen in unterschiedlicher Trägerschaft für erwerbslose Menschen. Sie bieten mehr als 1.000 Plätze für Beschäftigung, Qualifizierung und sozialberaterische Begleitung. Seit nunmehr 20 Jahren verfolgt die Bischöfliche Aktion Martinusmantel in der Diözese Rottenburg-Stuttgart das Ziel, arbeitslosen Menschen mit Qualifikationsprojekten ideenreich und kompetent eine Perspektive zu schaffen. Mit Erfolg: Seit 1987 kamen für die Aktion rund 11 Millionen Euro zusammen. Damit wurden insgesamt mehr als 100 Projekte gefördert, mehr als 6.000 Menschen erhielten so eine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

5. Als Bischof besuche ich regelmäßig ausgesuchte Betriebe, um mich vor Ort über die ganz konkreten Probleme der Unternehmen, der Unternehmer, der Arbeiter und der Betriebsräte zu informieren. Dadurch gewinne ich einen vielschichtigen Einblick in die Situation von Unternehmen und der darin tätigen Menschen.

6. Wirtschaft und Wirtschaften gehören seit je untrennbar zum menschlichen Dasein. Handel und Wandel können das Wohl von Menschen fördern, aber, und das wissen wir alle: In Wirtschaftsprozessen geraten Menschen auch immer wieder unter die Räder. Darum kommt es auf das Wie des Wirtschaftens an. Seit einiger Zeit mache ich eine interessante Beobachtung: Immer mehr Führungskräfte wollen nicht allein nach wirtschaftlichen, sondern auch nach ethisch-moralischen Grundsätzen handeln. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat diesen Trend aufgegriffen und das Beratungsnetzwerk „KIWI – Kirche und Wirtschaft“ ins Leben gerufen. Es richtet sich an Führungskräfte und Unternehmer insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie in Organisationen und Behörden. KIWI gibt Impulse für ein Wirtschaften und für eine Führungskultur in Einklang mit christlichen Grundwerten. Ziel von KIWI ist es, Entscheidungsträger zu unterstützen, ihre Aufgaben mit einer grundlegenden christlichen Werthaltung in Einklang zu bringen. KIWI ist als Agentur organisiert, die Auftraggebern, ganz auf die jeweilige Situation abgestimmt, passende Beratungsleistungen vermittelt.

7. Auf ein besonderes Projekt der Arbeitslosigkeit positiv zu begegnen, möchte ich noch hinweisen: Koka. Koka ist Kooperationsprojekt von Diözese und Caritas für Beschäftigung und arbeitsmarktpolitische Dienstleitung zugleich. Ziel von Koka ist es, in Sozialunternehmen und Bildungseinrichtungen der Diözese Maßnahmeplätze für Arbeitssuchende einzurichten. Hierfür wird ein Netzwerk von Einrichtungen der Sozialwissenschaft, einem arbeitsmarktpolitischen Dienstleister und den zuständigen öffentlichen Partnern aufgebaut.

Bis Januar 2007 wurden drei Kooperationsverbünde entwickelt, die sich die Integration Benachteiligter in den Arbeitsmarkt zur bleibenden Aufgabe gemacht haben: in Ulm, in der Region Stuttgart und in Ost-Württemberg.Wenn die Kirche selbst eine so große Zahl von Arbeitsplätzen vorhält, sich für Arbeitslose einsetzt, wenn sie versucht, die Arbeitswelt human mitzugestalten und Initiativen ergreift, die Wirtschaft nicht sich selbst zu überlassen, sondern sie aktiv mit zu gestalten und hier im Interesse von Humanität mahnt, so springt sie nicht auf ein gesellschaftliches Modethema auf. Sie handelt vielmehr im Auftrag der ei-genen Froh-Botschaft zum Heil der Menschen, aus der Kompetenz der katholischen Soziallehre, im Interesse der betroffenen Menschen und für eine humane und zukunftsfähige Kultur unserer Gesellschaft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich über die Initiative dieser Vortragsreihe „Ethik und Unternehmertum“ im Rahmen des Studium Generale, ich freue mich über die Möglichkeit dieser Veranstaltung und möchte Sie alle herzlich einladen: Bringen auch Sie, jede und jeder an seinem Ort und mit den Ihnen gegebenen Möglichkeiten, sich auch weiterhin ein in öffentliche Diskussionen über die tragenden und Orientierung gebenden Werte des Menschen und der Gesellschaft. Helfen Sie mit, dass humane Grundüberzeugungen in der Wirtschaft von heute nicht verloren gehen! Denn ‚das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen.‘ (Synodenbeschluss Unsere Hoffnung) Mit diesem provokativen Satz fasste die Würzburger Synode vor über 30 Jahren seine Grundeinsichten zusammen. Im Blick auf den heutigen Abend möchte ich sagen: Christliche Werte sind nicht indifferent gegenüber erfolgreichem Wirtschaften, sie schließen einander auch nicht aus. Im Gegenteil!

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

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