Geht die vor Ostern ausgestrahlte „Passion“ bei RTL als moderne, zielgruppenspezifische Verkündigung des Glaubens durch – oder war’s doch eher eine unglaubwürdige Reality Soap nach dem Muster von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“? Die Ansichten dazu gingen ziemlich auseinander beim Workshop Digitale Kirche im Rahmen des Katholikentags 2022. Einig waren sich jedoch alle Teilnehmer:innen, dass die Kirche dringend neue, digitale Formate und Ausspielkanäle braucht, um wieder Kontakt vor allem zu jüngeren Menschen zu bekommen. Oder, um es mit den Worten von Moderatorin Manuela Pfann (Kirche im SWR) auszudrücken: „Wie spreche ich heute vom Glauben – und wie übersetze ich ihn für alle?“
Analoge und digitale Kommunikation ist Beziehungsarbeit
Einer, der ganz offiziell mit einer 50-Prozent-Stelle im Auftrag der Evangelischen Landeskirche Württemberg unterwegs ist, um neue Wege in der Glaubenskommunikation und der Seelsorge im Web zu ebnen, ist Nikolai Opifanti, Pfarrer aus Dettingen/Teck. Der 34-Jährige mit dem Hashtag „pfarrerausplastik“ hat 10.700 Follower auf Instagram, experimentiert ständig mit neuen Formaten, um beispielsweise den Leuten zu erklären, was eigentlich die Taufe bedeutet, was Jesus Christus ausmacht oder wie sich die Bibel neu entdecken lässt. Dabei hat er festgestellt, dass seine Form der Kommunikation gar nicht so sehr anders ist als die analoge: „Beides ist Beziehungsarbeit – aber die digitalen Medien bieten uns als Kirche Riesenchancen, in Kontakt zu neuen Leuten zu kommen.“
Als Reaktion auf die Corona-Krise veranstaltete Opifanti gemeinsam mit seiner Frau, sehr wenig Technik und einer Gitarre aus dem Wohnzimmer Instagram-Story-Gottesdienste, zu Weihnachten 2021 gab’s ein stimmungsvolles Ein-Minuten-Reel aus dem verschneiten Wald mit der kompletten Botschaft zum Fest. 20.500 Mal wurde es innerhalb kurzer Zeit aufgerufen. Das Wichtigste für diese bei Kirchens neuen Form von Kommunikation, so der Pfarrer, ist die Interaktion mit den Usern. Vor Insta-Gottesdiensten wird die Playlist mit den gewünschten Musiktiteln vorher abgefragt, bei den Fürbitten können durchaus sehr persönliche Wünsche wie die nach einer gesunden Geburt oder Heilung des Papas von der Krebserkrankung im Mittelpunkt stehen. Nicht ganz unwichtig: 60 Prozent der Zeit gehen dabei fürs Community-Management und die Beantwortung von Fragen der User drauf.
Digitalkirche Teil des großen Ganzen
Die Teilnehmer:innen am Workshop, quer durch die Republik sowohl aus der katholischen als auch aus der evangelischen Kirche kommend, waren sich einig, dass die Digitalkirche auch künftig nur ein Teil des großen Ganzen sein kann. Die Gemeinschaft beim Abendmahl kann sie nicht wirklich ersetzen. Aber, so der Essener Pastoralreferent Johannes Geis: „Durch die digitalen Kanäle entsteht Kommunikation auf Augenhöhe statt Top-Down, die digitale Seelsorge ist eine große Chance für die Kirchen.“
Der Rottenburg-Stuttgarter Weihbischof Dr. Gerhard Schneider berichtete davon, welchen Innovationsschub die Corona-Pandemie mit sich gebracht habe, und wie bei den zahlreichen Livestream-Gottesdiensten plötzlich statt der Theologie mehr die Kamera-Ästhetik in den Vordergrund gerückt sei: „Das war ein großes praktisches Lernfeld. Die Frage ist jetzt, wie wir das Digitale mit den analogen Angeboten verknüpfen.“ Klar ist dabei, dass das Agieren vor der Kamera zusätzliche Ausbildung beim pastoralen Personal erfordert. Angenehmer Nebeneffekt des Corona-bedingten Digitalisierungsschubes auch in der Diözese Rottenburg-Stuttgart: Die Gottesdienste und Predigten sind deutlich kürzer geworden